Der Riss im Raum
so intensiv an ihn, daß ihre Muskeln gegen die verkrampfte Anspannung rebellierten.
»Nicht so!« mahnte der Cherubim. »Du übertreibst. Bleib ganz entspannt, Megling. Du kythest ja auch mit mir, ohne dich anzustrengen. Außerdem habt ihr beide, Calvin und du, schon bisher miteinander gekythet, es wurde euch bloß nicht bewußt. Oder nimm Charles Wallace. Wie konnte er noch vor deiner Rückkehr wissen, daß du in der Schule Ärger gehabt hattest? Weil er regelmäßig kythet. – Sei nur du selbst. Öffne dich! Kythe!«
Sie tastete sich langsam durch die grenzenlose Dunkelheit: »Calvin … ?«
»Meg!«
»Wo bist du?«
Scharf wies Proginoskes sie zurück. »Frage nicht nach dem Wo!«
»Wie … wie geht es dir?«
»Ganz gut, wenn man die verwirrenden Umstände in Betracht zieht, Sporos … «
»Wo ist … – wie geht es ihm?«
»Meg, er will nicht mit mir kythen. Er will überhaupt nichts mit mir zu tun haben. Er behauptet, wir Menschen seien seiner nicht würdig und hätten hier nichts zu suchen. Das mag zwar stimmen; und doch … «
Plötzlich schwappte eine Welle von gekytheten Worten und Bildern über Meg zusammen – als bildeten sie die zahllosen Wassertropfen dieses Meeres, locker zusammengeballt, fröhlich durcheinandergewirbelt; nicht, wie die Menschen, voneinander abgesondert. Bilder fluteten heran: Kleine Wesen, die Sporos glichen, tummelten sich sorglos und vergnügt zwischen den Algengewächsen, den vertieften Farae. Unter ihrem schützenden Schirm flitzten sie unbekümmert hin und her …
»Übersetzt du für Herrn Jenkins?«
»Ich versuche es, Progo, aber ich bin nicht sicher, ob ich mich in ihn eingefühlt habe. Ich weiß, daß ich dich und Calvin erreiche; nur bei Herrn Jenkins … «
»Versetze dich in ihn, Meg. Er braucht dich. Er hat Angst.«
»Da Blajeny darauf bestand, daß Herr Jenkins mitkommt, muß es einen Grund dafür geben. Trotzdem steht er uns eigentlich immer nur im Weg.«
Sie meinte ihn zu hören, aus weiter Ferne, ganz schwach: »Ich weiß das. Es ist mir bewußt.«
Meg tastete sich dem leisen Klang entgegen. »Herr Jenkins … ?«
»So ist es gut!« sagte Proginoskes. »Bedenke, daß es ihm fast völlig an Intuition fehlt. Vielmehr: daß sie seit langem verschüttet liegt und nie wieder freigelegt wurde. Du mußt mit deinem ganzen Sein zu ihm kythen. Halte ihn ganz fest an der Hand, laß ihn spüren, daß du bei ihm bist, damit er dein Kythen erwidern kann. Fühlst du seine Hand?«
»Ich – ich denke schon.«
»Kann er dich spüren?«
»Herr Jenkins! – Herr Jenkins?« kythete sie ihm zu. »Progo! Cal! Bitte wartet einen Augenblick! Ich fürchte, irgend etwas ist nicht in Ordnung … « Sie verstummte, rang nach Atem. »Calvin, Progo! Pro…!«
Jede Faser ihres Seins schrie auf. Es war ein Schrei aus unsäglichem Schmerz, ein wortloser Schrei; sie selbst, als Ganzes, schrie in verzweifelter Not.
Das war der Schmerz, das war der Schrei, der die Galaxis gespaltet hatte, als Proginoskes ihr zeigte, wie die Echthroi exen.
Das war der Schmerz, das war der Schrei, der einen Riß in den Himmel geschlagen hatte, als sie auf dem Schulhof Herrn Jenkins benannte.
Das war der Schmerz, das war der Schrei, der sie beinahe selbst ausgelöscht hatte, als Proginoskes sie durch sein großes Auge geführt hatte, um mit ihr die gewaltige Reise nach Yadah anzutreten:
Sie wurde geext.
Farandolae und Mitochondrien
S ie war gestorben. Alles war gestorben. Für immer und ewig. Es gab keine Meg mehr. Sie war eine Ex-Meg. Eine geexte Meg …
Dann wurde ihr bewußt, daß sie über ihr Schicksal nachdachte. Wer geext wurde, kann nicht mehr denken. Wer trotzdem denkt, lebt.
Nach wie vor brannten die Schmerzen wie Eis, aber Meg hatte Kraft genug, über sie hinauszudenken. Sie lebte. Noch lebte sie.
Mit ihrem ganzen Sein kythete sie aus dem ex-nahen Nichts. »Progo! Calvin! Helft mir!«
Noch in ihren stummen Schrei hörte sie den Cherubim antworten: »Meg! Ich benenne dich! Du bist du selbst.«
Und dann fluteten Zahlenkolonnen heran, Zahlen in Reih und Glied.
Das war Calvin! Er kythete ihr die Zahlen und Formeln der ersten Mathematikaufgabe zu, die sie gemeinsam gelöst hatten. Sie klammerte sich an dieses trigonometrische Problem wie an ein rettendes Seil – bis der Echthroi-Schmerz verebbte und sie sich wieder befreit fühlte, frei, in die Sprache der Bilder und Worte zurückzukehren, die Calvin geläufiger war als abstrakte Zahlen.
»Calvin!« rief sie. »Oh, Calvin!« Und
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