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Der Riss im Raum

Der Riss im Raum

Titel: Der Riss im Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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bitte kümmere dich um ihn! Mach, daß er den Kampf nicht aufgibt!«
    »Wer sollte in voller Absicht ausgerechnet eine Schlange an das Krankenbett eines Kindes heranlassen?« widersprach Herr Jenkins.
    »Dr. Louise hat bestimmt nichts dagegen«, rief Meg. »Blajeny, ist auch Dr. Louise eine Lehrmeisterin?«
    Blajeny nickte, und Meg faßte neuen Mut.
    »Schlangen!« brummte Herr Jenkins. »Mitochondrien! Echthroi!«
    Meg schluckte tapfer, nahm die tränenverschmierte Brille ab und wischte sie blank.
    Herr Jenkins sah sich zu einer seiner typisch hochgestochenen Bemerkungen veranlaßt: »Der Mensch wäre demnach die potentielle Schwachstelle im Universum. Und Charles Wallace sollte zum gegenwärtigen Zeitpunkt das Zünglein an der Waage darstellen?«
    Wieder nickte Blajeny ernst.
    »Was widerfährt denn nun eigentlich seinen Mitochondrien und Farandolae?« Ratsuchend wandte er sich an Meg.
    Sie gab sich alle Mühe mit ihm. »Herr Jenkins, Sie haben uns einmal Ihr Lieblingszitat als Aufsatzthema gegeben. Erinnern Sie sich? »Wenn wir nicht zusammenstehen, werden wir einst untergehen.»Das gilt für uns Menschen ebenso wie für Mitochondrien und Farandolae, wahrscheinlich aber auch für unsere Erde und das ganze Sonnensystem: Entweder leben wir alle gemeinsam in Harmonie – oder wir haben unser Leben verwirkt. So wie Charles Wallace nicht überleben kann, falls seine Mitochondrien … « Sie verstummte.
    Herr Jenkins schüttelte den Kopf. »Was erwartet man von uns? Wie sollten wir den Lauf der Dinge beeinflussen können? – Nein! Oh, nein!«
    Der falsche Herr Jenkins, den sie schon zuvor beobachtet hatten, kam wieder auf sie zugeflogen. Louise richtete sich zu voller Länge auf und zischte ihm haßerfüllt entgegen.
    »Rasch!« Blajeny breitete die Arme aus und riß Herrn Jenkins, Sporos und Calvin an sich. Meg suchte hinter einem Flügel von Proginoskes Schutz und preßte sich so eng an den Cherubim, daß sie in seinem mächtigen Herzschlag aufzugehen schien. Da war auch schon das große Katzenauge; die Pupille weitete sich, nahm sie auf, brachte sie hinüber … hinüber nach … nach … ?
    Meg wußte nicht, wo sie sich jetzt befand. Sie ahnte nur, daß sie nicht allein war, daß auch die anderen ihr gefolgt waren. Wie durch einen endlosen Tunnel hallte Blajenys Stimme: »Was ich euch nun zeige, ehe ihr aufbrecht, soll euch Mut und Zuversicht geben.«
    Meg blickte sich um. Vor ihr kreisten in gewaltigen Rhythmen Flammen im Wind; aber das war nicht der Windhauch, das waren nicht die Flammenzungen der Cherubim. Es war ein ungeheurer Tanz von berückender Anmut; nach strengen Regeln und doch in letzter, äußerster Freiheit, in unbändigem Glück. Rascher und immer rascher wirbelte der Tanz; enger und immer enger wurden die Kreise; Wind und Feuer taumelten aufeinander zu; Freude; Glück; kosmischer Gesang; er schwoll an, schwoll an – und wurde übermächtig, als Wind und Flammen sich vereinten …
    … sich vereinten, Wind und Flammen, Tanz und Gesang, zu einem in sich kreisenden, singenden, tanzenden Ball aus Feuer und Wind.
    Meg hörte Herrn Jenkins in ungläubigem Staunen rufen: »Was war das?«
    »Die Geburt eines Sterns«, sagte Blajeny.
    »Unmöglich!« widersprach Herr Jenkins. »Diese Kugel ist so klein, daß ich sie bequem in der Hand halten könnte.« Er schnaubte in bitterer Vorahnung. »Wie groß bin eigentlich gegenwärtig ich?«
    »Sie müssen aufhören, in herkömmlichen Größenordnungen zu denken. Die sind ebenso relativ wie unerheblich.«
    Meg betrachtete den Stern. Er war wirklich so klein, daß sie beinahe die Hand nach ihm ausstrecken konnte, strahlte aber so intensiv, als käme sein Gesang aus dem Feuer, als verbrenne er an seinem Gesang.
    »Ich muß groß wie eine Galaxis sein«, flüsterte sie ergriffen und überließ sich der Herrlichkeit dieses Singens und Tanzens.
    »Jetzt!« rief Blajeny mit donnernder Stimme.
    Wieder wurde Meg von Proginoskes aufgenommen, eingesogen in seinen Herzschlag, in das Dunkel der großen Pupille, hinübergetragen ins …
    Nein!
    Die Flammen drohten sie zu verzehren. Der kosmische Rhythmus wurde jäh gestört durch einen gewaltsamen Mißklang …
    Meg wollte schreien, brachte aber keinen Ton heraus. Der Schmerz war so intensiv, daß sie ihn nicht länger ertragen konnte; gleich, gleich würde er sie auslöschen …
    Der Schmerz war fort, und Meg fühlte wieder den Herzschlag des Cherubim; doch sein Herz klopfte jetzt heftig, rasch und etwas

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