Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Riss im Raum

Der Riss im Raum

Titel: Der Riss im Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
Vom Netzwerk:
am ehesten normal sind – oder sich zumindest so geben. Andererseits: Was ist schon normal oder nicht normal? – Sag, warum interessierst du dich eigentlich so für Farandolae?«
    »Mutter arbeitet über sie.«
    »Sie arbeitet über alles mögliche, ohne daß du dich besonders dafür interessiert hättest.«
    »Wenn es ihr gelingt, die Existenz der Farandolae nachzuweisen, bekommt sie garantiert den Nobelpreis.«
    »Ja? Das kann aber nicht der Grund sein, warum sie dich so faszinieren.«
    »Meg, wenn unseren Farandolae Gefahr drohte – das hätte unabsehbare Folgen.«
    »Warum?« Meg fröstelte plötzlich und knöpfte sich die Jacke zu. Am Himmel trieben jetzt schwere Wolken, und der Wind frischte auf.
    »Ich habe doch die Mitochondrien erwähnt, oder?«
    »Ja. Was ist mit ihnen?«
    »Mitochondrien sind Mikroorganismen in unseren Zellen. Gibt dir das eine Vorstellung, wie klein sie sind?«
    »Ungefähr.«
    »Für sie ist der menschliche Körper groß wie eine ganze Welt – so groß, wie die ganze Welt für uns. Und doch hängen wir von unseren Mitochondrien mehr ab als die Erde von den Menschen. Die Erde würde sich auch ohne uns weiterdrehen, aber wenn unseren Mitochondrien etwas zustieße, müßten wir sterben.«
    »Warum sollte ihnen etwas zustoßen?«
    Charles Wallace zuckte bloß mit den Schultern. Im schwindenden Licht wirkte er noch blasser als sonst. »Menschen können einen Unfall erleiden oder krank werden. Jeder Organismus ist anfällig. Und aus dem, was ich von Mutter aufgeschnappt habe, sind viele Mitochondrien ihrer Farandolae wegen in Gefahr.«
    »Das alles hat Mutter dir erzählt?«
    »Nur einiges. Den Rest habe ich mir selbst zusammengereimt.«
    Charles Wallace konnte aus den Gedanken seiner Mutter oder aus Megs Gedanken Schlüsse ziehen, wie andere Kinder einzelne Wiesenblumen zu einem Strauß binden. »Was sind eigentlich Farandolae?« fragte sie und machte es sich auf der harten Mauer so bequem wie möglich.
    »Farandolae leben in den Mitochondrien ungefähr so, wie diese in einer menschlichen Zelle. Sie sind genetisch von ihrer Mutterzelle ebenso unabhängig wie die Mitochondrien von uns. Wenn aber den Farandolae etwas zustößt, werden die Mitochondrien – nun, sagen wir: dann werden sie krank. Und müssen wahrscheinlich sterben.«
    Ein trockenes Blatt löste sich von seinem Zweig und gaukelte an Megs Wange vorbei zu Boden. »Warum sollte ihnen etwas zustoßen?« wiederholte sie.
    Charles Wallace wiederholte seinerseits: »Menschen können einen Unfall erleiden oder krank werden. Oder sie führen Kriege und bringen einander um.«
    »Ja. Weil sie eben Menschen sind. Wo bleibt da der Bezug zu Mitochondrien und Farandolae?«
    »Meg, Mutter arbeitet seit einigen Wochen so gut wie rund um die Uhr in ihrem Labor. Das kann dir doch nicht entgangen sein.«
    »Das macht sie oft, wenn sie einer besonderen Sache auf der Spur ist.«
    »So wie jetzt. Und diesmal geht es um Farandolae. Sie glaubt, durch die Beobachtung bestimmter Mitochondrien – sterbender Mitochondrien – ihre Existenz nachgewiesen zu haben.«
    »Das erzählst du doch hoffentlich nicht in der Schule weiter?«
    »Ich merke immer deutlicher, Meg, daß du mir nicht zuhörst.«
    »Ich mache mir eben Sorgen um dich.«
    »Dann hör mir endlich zu! Weißt du, warum Mutter so hartnäckig versucht, die Auswirkungen von Farandolae auf Mitochondrien zu erforschen? Weil sie nämlich befürchtet, daß mit meinen Mitochondrien etwas nicht in Ordnung ist.«
    »Was sagst du da?« Erschrocken sprang Meg von der Mauer und starrte ihren Bruder an.
    Er sprach so leise, daß sie ihn kaum hören konnte. »Wenn meine Mitochondrien krank sind, bin auch ich krank.«
    Da war sie wieder, die nackte Angst, die Meg die ganze Zeit gespürt hatte, und die sich nun nicht länger unterdrücken ließ. »Ist das sehr schlimm? Kann Mutter kein Gegenmittel finden?«
    »Das weiß ich nicht. Sie vermeidet es, mit mir darüber zu sprechen. Ich bin ganz aufs Raten angewiesen. Sie versucht sich gegen mich abzublocken, bis sie mehr herausgefunden hat, und ich bekomme nur Bruchstücke mit. Vielleicht ist es nicht wirklich gefährlich. Vielleicht liegt es tatsächlich nur an der Schule. Immerhin werde ich fast jeden Tag aufs neue verprügelt. Das könnte schon dazu geführt haben, daß ich … – He, Meg! Schau doch, was Louise macht!«
    Meg folgte seinem Blick und wandte sich um. Louise die Große glitt ihnen auf der Steinmauer entgegen. Ihr geschmeidiger schwarzer Leib

Weitere Kostenlose Bücher