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Der Riss

Der Riss

Titel: Der Riss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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mit einer Bewegung, die sie die ganze Woche geübt hatte, in zwei Teile, die sie aneinanderrieb.
    „Ventriloquist“, sagte sie, und die Flamme erwachte leuchtend weiß und blendend hell zum Leben.
    In deren Schein sah sie, wie eins der Beine des Wesens über den Boden auf sie zu schlängelte. Sie kniete nieder und stieß mit der Fackel zu. Das Tentakel fing an zu verschmoren, und ein Übelkeit erregender Geruch nach verbranntem Haar und Staub stieg auf.
    Es zog sich zurück, glitt von ihr weg, aber aus der Luft tauchte ein Zweites vor ihr auf.
    „Hast noch nicht genug?“, sagte Jessica und wehrte es ab.
    Der Arm fuhr um sie herum, gerade außerhalb der Reichweite der zischenden Flamme. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie sich aus dem Wesen noch ein Arm streckte.
    Sie schluckte. Seit sie der Flammenbringer geworden war, hatten die Darklinge sich so sehr vor ihr gefürchtet. Aber diese Alten hier ließen sich offensichtlich nicht abschrecken.
    Das hier war schließlich ihre Nacht.
    Jessica stürzte vorwärts, die Fackel auf das nächste Tentakel zuschwenkend. Ein Feuerstrahl explodierte, der einen lang gezogenen, anklagenden Schrei nach sich zog und noch einen Schub Gestank nach verbranntem Haar.
    Sie sah sich nach weiteren Armen um …
    Plötzlich wickelte sich etwas um ihr Bein, etwas Weiches, Fedriges und Bitterkaltes. Die Kälte breitete sich in ihr aus, kroch ihren Rücken hoch, zusammen mit einer Flutwelle aus Gefühlen: Ängste und Albträume tauchten auf, vergessene Schrecken drängten an die Oberfläche ihres Bewusstseins.
    Plötzlich fühlte sich Jessica verlassen, erfüllt von der Gewissheit, dass sie in der Schule versagen würde, ihre alten Freunde für immer verlassen und sich an einen Ort begeben würde, an dem die Realität verbogen und fremd war. Ein panisches Gefühl wie nach dem letzten Läuten, wenn sie ihre neue Klasse finden musste, lähmte sie, kalt wie die Blicke der zahllosen, unfreundlichen Fremden.
    Jeder in Bixby hasste sie, plötzlich wusste sie das.
    Mach deine Hand auf, Jess , beschwor sie eine entfernte Stimme.
    Sie gehorchte instinktiv, wollte der Stimme in ihrem Kopf gefallen, und ihre Finger ließen die Fackel los. Ihre einzige Waffe fiel ihr aus der Hand.
    Dann verschwand die Kälte wie eine gekappte Telefonverbindung, all ihre Schrecken lösten sich im Bruchteil eines Herzschlags auf. Und wieder erfüllte der schrille Schrei die Luft, langsam und stechend und voller Klage, wie die Mittagssirene auf dem Dach von Bixbys Feuerwehr.
    Jessica sah nach unten: Das brennende Ende der Fackel hatte im Fall das Tentakel abgetrennt und sie aus dem Bann der Kreatur befreit.
    „Danke, Melissa“, flüsterte sie und bückte sich nach der Fackel. Sie vor sich haltend stürzte sie auf das Wesen zu, das sich über den Eingang der Höhle gelegt hatte.
    Tentakel wanden sich, als sie näher kam, glitten von den Armen und Beinen der kleinen, blassen Gestalt im Eingang und gaben die Felsspitze frei. Einige kleinere Extremitäten wirbelten um die flache Mitte des Wesens wie Hubschrauberblätter, fauchten wie ausgeblasener Dampf. Langsam erhob es sich in die Luft. Jessica schleuderte die Fackel hinter der Kreatur her und griff mit der gleichen Bewegung in ihrer Tasche nach einer neuen. Als sie die zweite Fackel zündete, ging das Darklingwesen über ihr in Flammen auf, der Gestank nach toten Ratten und verfaulten Eiern erfüllte die Luft. Es gab noch einen klagenden Heuler von sich, weiter aufsteigend, dann flog es in den Himmel. Die Flamme schien auf der Kreatur zu reiten, irgendwie unfähig, das Wesen zu verzehren. Und dann hatte die brennende Masse die Baumlinie überflogen.
    Jessica hielt die neue Fackel in den Eingang der Höhle. Die kleine Gestalt war zu Boden gesunken und lag zusammengekauert und schluchzend da. Ein zweites blasses Gesicht tauchte in der Finsternis auf.
    „Beth?“, fragte sie und spähte durch den Qualm der Fackel.
    „Ich bin’s – Cassie.“ Das Mädchen trat einen Schritt näher an das Licht, dann kniete sie neben der zusammengesunkenen Gestalt nieder und drehte ihr Gesicht nach oben.
    Es war Beth, so blass, dass man sie kaum wiedererkannte.
    Jessica ließ die Fackel fallen und fiel auf die Knie. „Beth!“
    Einen Moment lang gab es statt einer Antwort nur flackernde Augenlider. Dann schnappte Beth plötzlich und heftig nach Luft und schlug die Augen auf.
    „Jess?“, antwortete sie.
    „Ich bin hier. Bist du okay?“
    „Doch. Sicher. Was für ein Albtraum. Hab ich

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