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Der Riss

Der Riss

Titel: Der Riss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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verleihen und der Karte eine neue Dimension hinzuzufügen. Als ob man sich die neuste Version eines bekannten Videospiels ansehen würde, mit den altbekannten Figuren, aber in einer höheren Auflösung.
    „Du hattest recht“, sagte Maddy leise.
    Dess konnte ihre Augen nicht von der Karte wenden.
    „Womit?“
    „Ich glaube nicht, dass uns die Lehre oder alte Erinnerungen viel weiter bringen. Wie du vermutet hast, lässt sich dieses Rätsel am besten von einem Universalgenie lösen.“
    Dess schluckte. Hatte die alte Frau einen kurzen Blick in Dess’ Gehirn geworfen, als sie ihre Lederjacke berührt hatte?
    „Mensch, Maddy, das hab ich doch gar nicht gesagt.“
    Maddy grinste nur über den Spitznamen. „Manchmal, Dessy, weiß man, was jemand denkt, ohne Gedanken zu lesen.“

    Dessy? Mann. Maddy hatte mit ihrer Rache nicht lange gewartet.
    „Schönen Dank. Ich werde mir das näher ansehen, wenn ich Zeit dazu habe.“ Beispielsweise wenn Madeleine nicht in Sichtweite war.
    Die alte Gedankenleserin lächelte. „Lass mich wissen, was du herausfindest, Desdemona.“
    „He, mit Ihrem Fernseher stimmt was nicht!“, rief Jonathan. Er hatte sich über das riesige Gerät im Wohnzimmer gebeugt, ein holzverkleidetes Monster, das er in der vergangenen Stunde von einem Stapel Kamingitter mit neununddreißigstelligen Mustern befreit hatte.
    Dess sah zu dem Apparat hinüber und grinste. Es freute sie, dass Maddy keinen Groll gegen Fernseher hegte. Kürzlich hatte Dess erfahren, dass Madeleine Fernseher – und Klimaanlagen natürlich – für die Zerstörung vor fünfzig Jahren verantwortlich machte. Irgendwas mit Eltern, die fernsahen, statt ihre Kinder im Auge zu behalten.
    Madeleine warf einen amüsierten Blick auf den eigenartig gewölbten Bildschirm. Das Gerät erinnerte eher an ein Goldfischglas mit trübem Wasser als an einen Fernseher.
    „Jonathan, du Dummkopf. Er funktioniert ausgezeichnet.“
    Sie wandte sich ab und verließ das Zimmer, wobei sie über ihre Schulter hinzufügte: „Braucht bloß eine Weile, um warm zu laufen. Zu meiner Zeit hatten die jungen Leute mehr Geduld.“
    Jonathan sah nicht überzeugt aus, obwohl tatsächlich etwas in den Tiefen des Fernsehers vor sich ging: Ein flackerndes Licht war in der Mitte des Bildschirms aufgetaucht und wurde allmählich größer, bis es die Scheibe mit einem verschwommenen Bild ausfüllte.

    „Mann“, flüsterte er. „Schwarz-weiß.“
    „Sieht eher nach grau in grau aus“, meinte Dess. Der Bildschirm war hauptsächlich verschneit. Man konnte den Typen vom Wetter vor seiner Karte kaum erkennen, hinter ihm kreiste die Doppler-Radarantenne und wirkte auf dem altertümlichen Gerät reichlich deplaziert.
    Jonathan drehte an einem großen Knopf, es knackte, und auf dem Bildschirm erschienen Störungen. Während er vergeblich nach einem Kanal mit einem besseren oder überhaupt einem Bild suchte, sah Dess zu, wie die kleinen grauen Pünktchen tanzten. Sie erinnerte sich an eine verrückte Erklärung dieser kleinen Störpunkte: Angeblich handelte es sich um Überbleibsel des zufälligsten Ereignisses in der Natur …
    Jonathan stieß einen Seufzer aus und knackte sich bis zu den Lokalnachrichten zurück.
    Dess blendete die Stimme des Nachrichtensprechers aus und nahm den letzten Schluck von ihrem lauwarmen Tee, ein winziges Blättchen blieb zwischen ihren Zähnen hängen.
    Plötzlich fielen ihr die Einzelheiten jener Erklärung wieder ein: Auf dem Discovery Channel (dem einzigen Kanal, den sie jemals einschaltete) hatten sie erzählt, der Schnee auf alten Fernsehern käme von der Restladung des Urknalls, der Explosion, aus der das Universum hervorgegangen war. Deshalb wären die Pünktchen absolut zufällig – das Ergebnis einer vollkommenen Explosion.
    Nun ja, beinahe perfekt. Der Urknall hatte schließlich ein paar Billionen Materialbrocken hinterlassen, aus denen Galaxien und Gruppen von Galaxien wurden. Das Universum war irgendwie bröckelig, ähnlich wie … Teeblätter.
    Oder die blaue Zeit.
    Dess’ Augen fingen an zu leuchten. Sie sah auf die Karte hinunter, die Madeleine ihr gegeben hatte. Die neuen Linien darauf waren Spiralen und Feuerräder – wie Galaxien, die Überreste des Urknalls.
    Vielleicht war die geheime Stunde aus einer Art Explosion hervorgegangen, oder zumindest etwas heftig und gewaltig Knallartigem, das zu einem ähnlichen Mix aus Chaos und Ordnung, Zufall und Gesetzmäßigkeit geführt hatte.
    Dess’ sah in ihre Tasse. Kosmologie war

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