Der Riss
Rüpeln, die ihn je gepeinigt hatte, allen Schlägen seines Vaters, den Spinnen, die auf seiner blassen, nackten Haut entlangkrochen. Alle alten Ängste traten aus seiner Erinnerung hervor und zerrten am Fundament seines menschlichen Teils. Plötzlich wusste er, dass er versagt hatte. Die Lehre, die er sich selbst angeeignet hatte, bestand aus lauter Lügen. In all der Zeit war er ein blinder Seher gewesen, ein Schwindler.
Lachend zeigten ihm die Alten die bevorstehende Wandlung, wie die blaue Zeit aufreißen und den uralten Hunger der Darklinge entfesseln würde.
„Nein“, stieß er erschöpft hervor. „Ich werde euch aufhalten.“
Ein Schaudern regte sich unter den Kreaturen.
Du kannst uns nicht drohen.
Rex’ Körper erstarrte plötzlich, als ob etwas an ihm ziehen würde, um seinen Verstand weit aufzureißen. All seine Sinne wuchsen ins Tausendfache. Er nahm die Welt kristallklar wahr, bis zu den Sternen am Horizont, noch viel perfekter als mit seinem Seherblick. Er konnte sein eigenes Blut hören, das wie ein Tross LKWs durch seinen Körper rauschte. Und er schmeckte die blaue Zeit, Asche und Verfall auf seiner Zunge.
Mehr Bilder strömten in ihn hinein – von einer Welt im Tempo der Darklinge, Jahreszeiten rasten vorbei, nur eine von fünfundzwanzig Stunden sichtbar, und jeder Tag währte fast einen Monat. Er sah, wie die Alten die Primärkontorsion schufen, die geheime Stunde, die unter der Last all der fehlenden Zeit ächzte. Sie fing an zu bröckeln, ein beständiger Rhythmus aus Finsternissen, bis sie zerspringen würde. Und dann konnte die Jagd beginnen.
Wenn nicht … Rex sah den plötzlichen Blitzschlag, wie der Druck von Jahrtausenden freigesetzt wurde, sich auf der Erde ausbreitete, und der Riss verschwand.
„Wir können das aufhalten“, flüsterte er.
Sie kann. Sie musst du nehmen.
„Nein.“
Mehr Bilder, seinen Jagdträumen ähnlich, aber um ein Vielfaches lebendiger. Er sah einen Haufen brennender Knochen, menschliche Gestalten mit gehörnten Masken. Er spürte die Erregung einer wilden Jagd, roch die Angst der Beute, schmeckte das warme Leben beim Erlegen. Rex spürte, wie er sich an Fleisch weidete.
Sein Magen zog sich widerstrebend vor der Vision zusammen. Am meisten entsetzte ihn jedoch, wie erfüllt er sich dabei fühlte, wie gesättigt. Und wie mächtig. Als Rex Greene war er in einem schwachen und kleinen Körper gefangen, der verfiel, wenn er alterte, und in lächerlich kurzer Zeit sterben würde.
Aber die Alten boten ihm Jahrmillionen.
Er musste nur von seiner Menschlichkeit ablassen. Dann konnte er an dem Fest teilnehmen.
Nimm sie einfach. Nur du kannst sie zur Strecke bringen.
Er schüttelte den Kopf, kämpfte mit seiner zerfetzten Menschlichkeit dagegen an. Dann stieg eine tief vergrabene Aversion aus seiner Erinnerung auf, eine, die Dess ihn vor langer Zeit gelehrt hatte.
Komm zu uns , lockten sie ihn.
„Unüberwindbar“, spuckte Rex ihnen krächzend zu. Bei der Anstrengung platzte ihm fast der Kopf, aber die Alten lockerten ihren Griff noch einmal vor Entsetzen schaudernd.
Dann weg mit dir.
Erstaunlich plötzlich ließen die Kreaturen von ihm ab. Rex spürte, wie seine Muskeln nachgaben, und er strauchelte wie eine fallen gelassene Stoffpuppe, der Kampf hatte seinen Verstand all seine Willenskraft gekostet. Sie hatten aufgegeben. Irgendwie hatte er sie besiegt.
Rex schlug die Augen auf und realisierte, dass er mit dem Gesicht nach unten in der Wüste lag, den Mund voller Erde, mit schmerzendem Kiefer. Trotzdem musste er lächeln. Die Darklinge hatten ihm etwas von der bevorstehenden Jagd gezeigt … etwas Wichtiges.
Als sich der Trupp der Albtraumkreaturen entfernte, spürte Rex jedoch, wie sein Hirn arbeitete und seine Sinne wieder ganz und gar menschlich wurden. Wie ein großes Maul, das sich um ihn schloss, verschluckte Dunkelheit das neue Wissen und ließ nur unzusammenhängende Bilder und Gerüche und den staubigen Geschmack in seinem Mund zurück.
Bis die Alten am Horizont verschwunden waren, konnte er sich kaum mehr erinnern, was überhaupt geschehen war.
monster
12.00 Uhr Mitternacht
18
Rex stolperte durch die Wüste zurück wie ein Zombie.
Sein Gesicht war fahl, seine Hände zitterten wie in der Nacht nach seiner Transformation vor einigen Wochen. Er sah seinem Vater beängstigend ähnlich – mit glasigem, verschleiertem Blick, sein Gang war kaum ein Schlurfen.
Er war nicht verletzt und blutete auch nicht, seine Kleider waren intakt, aber
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