Der Ritter von Rosecliff
freundliche Geste, die beruhigend wirken sollte, aber eher das Gegenteil bewirkte.
»Ich hätte dich nicht nach Rosecliffe begleiten sollen«, murmelte Rhonwen. »Ich wollte eigentlich nur nach Carreg Du.«
»Rosecliffe ist eine offene Stadt in der sowohl Engländer als auch Waliser leben, Seite an Seite.«
»In Frieden?«, fragte Rhonwen spöttisch.
»Ja, in Frieden«, bestätigte Nesta ernst.
Sie hatten die Stadtmauer erreicht die ziemlich niedrig war, sodass man dahinter Dächer sehen konnte - manche aus Stroh, andere aus Schiefer, alle neu. Die kleine Gruppe alter Frauen aus Carreg Du wollte zum Marktplatz in der Stadtmitte. Alles war sehr sauber und ordentlich. Die Hauptstraße, die vom Stadttor zur Burg führte, war auf beiden Seiten von großen, weiß getünchten Häusern mit Gärten gesäumt. Es war eindeutig eine Ortschaft nach englischem Vorbild, und Rhonwen bezweifelte, dass Waliser sich hier wirklich heimisch fühlen konnten, zumal überall englische Wachposten zu sehen waren - am Stadttor, auf dem Marktplatz und auf den hohen Burgmauern. Unwillkürlich tastete sie nach dem Dolch an ihrer Hüfte, obwohl sie wusste, dass ihr hier keine Gefahr drohte.
Sie half Nesta beim Absteigen und schaute zu, wie die Frauen ihren Stand aufbauten. Sie hatten Käse und Kerzen, Töpfe und Körbe zum Verkauf mitgebracht und wollten vom Erlös Wein und feines Garn kaufen.
Nesta klopfte Rhonwen auf die Schulter. »Geh und schau dich um, Kind. Du brauchst keine Angst zu haben. Bald kommt Josselyn her, um ihre Einkäufe zu erledigen. Vielleicht bringt sie auch die Kinder mit. Isolde liebt diesen Markt.«'
Isolde ... Sie musste jetzt neun oder zehn Jahre alt sein, dachte Rhonwen und versuchte vergeblich, sich das Baby, an das sie sich erinnerte, als großes Mädchen vorzustellen. Wen liebte Isolde mehr - ihre Mutter oder ihren Vater? Fühlte sie sich als Waliserin oder als Engländerin?
Langsam schlenderte Rhonwen über den Marktplatz und staunte über die elegante Kleidung der meisten Frauen. Ihr eigenes Kleid aus grober grüner Wolle kam ihr plötzlich sehr schäbig vor. Es war zwar sauber, aber weder bestickt noch mit Bändern oder Kordeln verziert.
Ein köstlicher Geruch stieg ihr in die Nase, und sie machte die Quelle ausfindig: ein kräftiger Bursche buk über offenem Feuer Pfannkuchen aus süßem Teig. Ihr lief das Wasser im Munde zusammen. Der Mann grinste, als er ihren hungrigen Blick bemerkte.
»Was Süßes für ein süßes Mädchen?«
Rhonwen schüttelte den Kopf. »Ich habe kein Geld.«
Der Bursche musterte sie lüstern von Kopf bis Fuß. »Es gibt andere Zahlungsmittel.«
Rhonwen kehrte ihm angeekelt den Rücken zu. Männer! Sie waren alle gleich, egal ob Waliser oder Engländer. Nicht das Gehirn bestimmte ihr Handeln, sondern der Schwanz!
Sie beobachtete zwei kichernde Mädchen, die einige Jahre jünger als sie selbst sein mussten. Sie tuschelten miteinander und deuteten verstohlen auf einen hübschen Burschen, der einen Karren entlud. Rhonwen fragte sich, ob Frauen mehr auf ihr Gehirn hörten als Männer. Bis zu ihrer Begegnung mit Jasper Fitz Hugh hätte sie das sofort bejaht. jetzt war sie sich nicht mehr so sicher.
Der Bursche schaute zu den Mädchen hinüber und grinste breit. Sie warfen sich ihre Schürzen über die Köpfe und flüchteten lachend. Verglichen mit diesen albernen Gänsen kam Rhonwen sich uralt vor.
Das Leben war viel leichter gewesen, als sie noch ein Kind gewesen war. jetzt schien alles immer komplizierter zu werden. Wem konnte man vertrauen, wem musste man misstrauen? Was war richtig, was falsch? Waren alle Mittel erlaubt, wenn es um eine gute Sache ging? Sie wusste es einfach nicht.
Eine aufgeregte Männerstimme riss sie aus ihren trüben Gedanken. »Aber er hat ausdrücklich gesagt, ich dürfe nicht von Eurer Seite weichen. Bitte, Lady Josselyn ... «
Lady Josselyn ... Lady Josselyn! Ihre Freundin ließ sich jetzt also wie eine englische Dame anreden, dachte Rhonwen empört. Und dann hörte sie, wie Josselyn dem Mann in kultiviertem Englisch antwortete. »Dann musst du eben jemanden auftreiben, der meine. Einkäufe in die Burg bringt. Das dürfte nicht weiter schwierig sein, Gregory. Für eine Münze ist bestimmt jeder Junge gern dazu bereit.«
Neugierig, mit klopfendem Herzen drehte Rhonwen sich um und suchte in der Menge nach Lady Josselyn. Sie erkannte sie sofort wieder, obwohl seit ihrer letzten Begegnung zehn Jahre vergangen waren. Zu ihrer Freude war Josselyn
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