Der Ritter von Rosecliff
warf Josselyn ihrem Schwager jedoch beredte Blicke zu, und er begriff, dass sie genauso beunruhigt war wie er selbst. Aber sie mussten so -tun, als sei alles in bester Ordnung, wenn sie die Wahrheit erfahren wollten.
Also verlief dieser Abend wie jeder andere: nach dem Essen würfelten einige Männer, Dienstboten schrubbten die Tische, Hunde kämpften um die saftigsten Knochen, und der Flötist spielte eine Melodie nach der anderen.
Ein Abend wie jeder andere - mit einem gravierenden Unterschied: Josselyn hatte ihren Kindern streng befohlen, keinen Fuß in die Halle zu setzen.
Lamonthes Kuriere leerten einen Krug Bier nach dem anderen, aufmerksam bedient von einem Pagen, dem Jasper Anweisungen gegeben hatte: »Halt die Augen offen und spitz die Ohren. Erstatte mir Bericht, nachdem sie zu Bett gegangen sind. Für dich springt dabei eine Extramünze heraus.«
Josselyn kam auf ihren Schwager zu, der es sich in einem Lehnstuhl bequem gemacht hatte, das Paar aber unauffällig beobachtete. »Ich gehe jetzt nach oben, um den Kindern Gute Nacht zu sagen. Soll ich irgendwelche Vorsichtsmaßnahmen treffen?«
»Lass heute Nacht alle drei in deinem Zimmer schlafen und verriegele die Tür. Ich werde an der Treppe Wachen postieren.«
Sie lächelte ihm zu. »Ich weiß, dass du für unsere Sicherheit sorgen wirst. Aber was ist mit Rhonwen? Soll sie allein in dem Turmzimmer bleiben?«
Jasper mied ihren neugierigen Blick. Er wollte nicht an Rhonwen denken. Seit dem missglückten Bad hatte er sie nicht zu Gesicht bekommen - aber ständig von ihr geträumt. »Sie bleibt in dem Turmzimmer, oder sie zieht ins Verlies um!«, knurrte er.
Josselyn kicherte. »Das Turmzimmer oder das Verlies ... Und wo immer sie ist möchtest auch du sein.«
Er runzelte die Stirn. »Lass mich in Ruhe, Josselyn!«
»Wie du willst ... Dann musst du eben sehen, wie du allein zurechtkommst.«
»Ich habe deinen Rat in der Vergangenheit nie benötigt wenn es um Frauen ging, meine Liebe, und ich brauche ihn auch jetzt nicht!«
Josselyn bückte sich und küsste ihn auf die Wange. »Und du bist ein sehr glücklicher Mann, habe ich Recht?« Ohne seine Antwort abzuwarten, rauschte sie königlich aus der Halle.
Lamonthes Kuriere blickten ihr nach und tauschten einen Blick. J aspers Nackenhaare sträubten sich plötzlich: etwas stimmte entschieden nicht. Es war noch keine Woche vergangen, seit Rand Lamonthes Festung verlassen hatte, und schon führte der Mann irgendetwas im Schilde!
Jasper beauftragte einen Pagen, Gilles zu holen, einen furchtlosen Knappen, der sich schon oft als Nachtkurier bewährt hatte. Doch bevor der Knappe auftauchte, wurde Jasper abgelenkt: Rhonwen kam die Treppe herab! Sie trug immer noch das einfache blaue Kleid, das sie angehabt hatte, als sie ihn badete, aber sie hatte die Schürze abgelegt. Und die langen schwarzen Haare fielen ihr offen über die Schultern, so als sei sie gerade im Begriff gewesen, zu Bett zu gehen.
Wie es wohl wäre, ihr jeden Abend zuzuschauen, wenn sie diese seidigen Haare bürstete? Sein Puls begann zu rasen, und er leerte seinen Bierkrug in einem Zug. Wie es wohl wäre, jeden Abend die Tür seines Zimmers abzuschließen und sich zu ihr ins Bett zu legen? Ihre Blicke schweiften durch die Halle und blieben auf ihm haften. Er sprang hastig auf. Kam sie zu ihm? Begierde verwandelte sein Blut in glühende Lava, doch zugleich überfiel ihn eine nie gekannte Sehnsucht. Ja, sie kam wirklich zu ihm!
Rhonwen hatte sich gewappnet. Trotzdem schoss ihr heiße Röte in die Wangen, und sie musste schlucken, um ihre trockene Kehle zu befeuchten. Wie Jasper sie anstarrte ... So als wollte er sie verschlingen!
Du brauchst ihm ja nur Josselyns Botschaft zu überbringen und kannst sofort wieder gehen, machte sie sich Mut. Das kann doch nicht so schwierig sein.
Aber es überstieg fast ihre Kräfte, und deshalb nahm sie die beiden Fremden, die an einem Tisch saßen und sie beobachteten, kaum wahr.
»Josselyn lässt Euch ausrichten, dass ich heute in ihrem Schlafzimmer übernachten soll.«
Jasper schaute schweigend auf sie herab.
»Ich soll heißes Wasser und Kamillenblätter holen ... Gavin hat Bauchweh ... Und Isolde klagt auch schon darüber ... «
»Ich hatte die Kinder gewarnt keine unreifen Beeren zu essen«, murmelte Jasper. Seine Augen lösten sich von ihr und verengten sich zu schmalen Schlitzen, als er jemanden ins Visier nahm, den sie nicht sehen konnte. »Ich werde dich- zur Küche begleiten«, schlug er
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