Der Ritter von Rosecliff
wichtigere Sorgen haben sollte.
Ein Ast knackte irgendwo über seinem Kopf, brach ab und stürzte zwischen ihm und seinem Gegner auf den Waldboden. Vielleicht würde der Sturm seine Rettung sein... Er schaute zum Himmel empor: nach wie vor waren keine schwarzen Wolken zu sehen. Trotzdem wurde es immer dunkler.
»Allmächtiger!«, murmelte er entsetzt.
Auch Rhys starrte fluchend den Himmel an, und seine Männer taten es ihm gleich. Einige fluchten wie er, während andere sich am ganzen Leibe zitternd bekreuzigten.
Während Jasper wie gebannt das Himmelsspektakel beobachtete, fielen ihm Rhonwens Worte ein: Newlin hatte das Ende der Welt vorhergesehen. ,Konnte das stimmen?
Es war Mittag, und die Sonne stand hoch am Himmel. Trotzdem verschwand sie vor ihrer aller Augen, und Finsternis breitete sich aus. »Gott steh uns allen bei!«, flüsterte Jasper. Die Sonne war das Licht der Welt. Ohne sie gab es kein Leben, und wenn sie jetzt erlosch ....
»Es wurde uns prophezeit!«, schrie einer der zitternden Männer. »Wenn der Mittag schwarz ist wie die Nacht ... «. Er trat die Flucht ah, und einer seiner Kameraden folgte ihm. Helios wieherte, bäumte sich auf und riss sich von dem Burschen los, der ihn am Zügel gehalten hatte.
War das wirklich das Ende der Welt? Dann nutzte es nichts wegzurennen, dachte Jasper. Er suchte nach Rhonwen. Lieber an der Seite der geliebten Frau sterben als allein!
Ohne sich um die Rebellen und die zunehmende Dunkelheit zu kümmern, ging er auf sie zu. Rhys folgte ihm fluchend. Rhonwen schrie Jasper an: »Verschwindet! Verschwindet!« und warf sich in Rhys' Anne.
Einen Moment lang war Jasper wie gelähmt. Rhys drückte Rhonwen kurz an sich, wollte sie dann aber zur Seite schieben. Sie klammerte sich wie eine Ertrinkende an ihm fest. und Jasper begriff, welche Chance ihm geboten wurde. Er nutzte die Dunkelheit die allgemeine Verwirrung und Rhonwens Eingreifen aus und rannte den Hügel hinab. Helios war in die gleiche Richtung galoppiert.
Er wusste nicht, ob seine Feinde ihn verfolgten. Was ihn auf jeden Fall verfolgte, war die bittere Wahrheit dass Rhonwen sich wieder für Rhys entschieden hatte. Wie oft musste er noch mit dieser Wahrheit konfrontiert werden, bis er endlich kapitulierte? Hinter einem großen Felsen legte er eine kurze Pause ein, um Atem zu schöpfen. Der Wind hatte etwas nachgelassen, aber es war fast so dunkel wie bei Nacht. Jasper blickte zum Himmel empor: die Sonne war verschwunden. Spurlos verschwunden. Er bekreuzigte sich. Auf den Tod durch ein feindliches Schwert war er gefasst gewesen, nicht aber darauf, dass er beim Weltuntergang ums Leben kommen würde.
Und dann tauchte wie durch ein Wunder ein kleines Stück Sonne wieder auf. War es eine Sinnestäuschung, eine Wunschvorstellung geboren aus der Angst vor ewiger Finsternis, oder kehrte sie tatsächlich zurück?
Jasper versuchte nicht diese Frage zu beantworten. Sollte die Sonne für immer verschwunden sein, war ohnehin alles vorbei. Doch wenn sie wiederkam, musste er sich beeilen. Beherzt setzte er seinen Weg fort, und bald fiel schwaches Licht zwischen den Bäumen hindurch. Er entdeckte frische Hufspuren, folgte ihnen und fand Helios in Ufernähe. Der Hengst kaute zufrieden an jungem Klee, und nachdem Jasper sich vergewissert hatte, dass das Tier nicht verletzt war, stieg er in den Sattel.
Die halbe Sonne stand schon wieder am Himmel, und obwohl Jasper normalerweise nicht abergläubisch war, fühlte er sich grenzenlos erleichtert, dass dies offenbar doch nicht der Weltuntergang gewesen war. Aus unerfindlichen Gründen hatte Gott ihn vor dem sicheren Tod bewahrt doch wie sollte er ohne Rhonwen leben? Er hatte begriffen, dass er sie nicht nur begehrte, sondern liebte. Sein Pech, dass sie diese Liebe nicht erwiderte, sondern sich für ihren walisischen Freund entschieden hatte ...
Er ließ Helios den Fluss an einer seichten Stelle überqueren und ritt am anderen Ufer in nördliche Richtung, auf Rosecliffe zu. Seine Gedanken kreisten um zwei Themen: die Sonnenfinsternis und seinen Liebeskummer. Was hatte die Sonne vorübergehend ihres strahlenden Lichts beraubt? War es vielleicht der Mond gewesen, der jetzt als dunkle Scheibe neben ihr zu sehen war? Hatten ihre Bahnen sich flüchtig gekreuzt und zogen sie jetzt wieder in verschiedene Himmelsrichtungen?
War es Rhonwen und ihm nicht ähnlich ergangen? Ihre Lebensbahnen hatten sich zufällig gekreuzt doch nun mussten sie wieder getrennte Wege gehen, auch wenn ihm
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