Der Roman eines Konträrsexuellen
machen. Ich habe die reine und einfache Wahrheit gesagt, es steht Ihnen frei, es zu glauben oder nicht. Die Sache wird Ihnen wie ein Roman erscheinen, aber sie ist dennoch wahr.
Ich lebe noch immer einsam, »jungfräulich«, da ich keinen Geschmack an dem Leben finde, von dem ich keinen Genuß habe. Das Verlangen nach dem Manne verfolgt mich noch immer, doch da ich keine Gelegenheit habe zu straucheln, werde ich so gut wie sicher nicht mehr in den schrecklichen Irrtum meiner Sinne zurückfallen. Ich werde keine Familie und niemals Kinder haben; jedermann ist überrascht, mich in meinem Alter, mit meinem Aussehen und in meiner Lage traurig und düster zu sehen. Würden Sie, mein Herr, diese Verwunderung teilen, wenn Sie mich kennten? Ich glaube es nicht. Alle quälen sich, um die Ursache meiner Traurigkeit, meiner Verzweiflung in Erfahrung zu bringen. Ich habe mich fast von der Welt zurückgezogen und lebe zur großen Verwunderung aller in fast vollkommener Einsamkeit. Meine Gesundheit wird bedeutend schwächer, was ich mit Vergnügen bemerke, denn obwohl ich den Tod fürchte, möchte ich doch schon tot sein.
Verzeihen Sie, mein Herr, diese so schrecklich geschriebenen Seiten, ich lese sie nicht noch einmal durch, denn wenn ich es täte, würde ich sie nicht abschicken. Verdiente eine so schreckliche Krankheit der Seele nicht, von dem größten Sammler menschlicher Dokumente unserer Zeiten beschrieben oder wenigstens doch gekannt zu werden? Ich weiß nicht, ob Sie etwas mit der schrecklichen Leidenschaft anfangen können, die ich Ihnen gebeichtet habe; auf jeden Fall bin ich zufrieden, sie Ihnen mitgeteilt zu haben. Wenn das Elend, das mich zu Boden drückt, in den erhabenen Schilderungen des menschlichen Elends einen Platz finden kann, verehrter Meister, schildern Sie mich bitte nicht allzu gräßlich. Ich lebe mit dem Tode in der Seele und habe hier auf Erden keine Freude mehr zu erwarten. Ich fühle mich schuldig und von einem schrecklichen Verhängnis betroffen, dem ich nicht entfliehen kann. Bin ich nicht genug gestraft? Ich hoffe, selbst wenn Sie mich nicht kennen, werden Sie sich einer solchen Indiskretion gegen mich nicht schuldig machen.
Seit fünf Stunden schon schreibe ich, und vor Müdigkeit fällt mir die Feder aus der Hand. Wenn ich Ihnen mit diesen Zeilen in irgendeiner Weise nützlich sein kann, werde ich die Zeit nicht bedauern, die ich gebraucht habe, Ihnen zu schreiben - wenn da nur nicht das gräßliche Motiv wäre, das mir die Feder in die Hand gedrückt hat.
Nachschrift – Zweites Dokument
IV. Neue Bekenntnisse
Ich habe heute morgen die gestern abend geschriebenen Seiten noch einmal durchgelesen. Ich habe sie nur überflogen und war versucht, sie ins Feuer zu werfen; ich habe es nicht getan, denn sicher hätte ich es nachher bereut. Diese Seiten könnten irgendwelches Interesse für Sie haben; und da ich Ihnen nicht bekannt bin, werde ich nie zu erröten brauchen, sie geschrieben zu haben.
Aus diesem Grunde will ich noch eine Lücke ausfüllen, die ich bewußt aus falscher Scham gelassen habe, die aber Ihrem scharfen Auge sicherlich nicht entgangen wäre. Da ich soviele Greuel gebeichtet habe, kann ich wohl auch andere beichten und mich Ihnen ganz so zeigen, wie ich bin.
Ich hatte Ihnen diese ziemlich schmutzige Erzählung ersparen wollen, doch Sie würden gewiß nicht verstehen, daß ein vollkommen unberührter Jüngling von neunzehn Jahren mit so leichter Mühe einen Mann von fünfundzwanzig verführen konnte, der bereits mehrere Frauen kannte – eine Sache, die mir völlig unbekannt war und ist und die ich auch gar nicht kennenlernen möchte.
Obwohl ich moralisch höchst verderbt war und seit meiner frühesten Jugend von den raffiniertesten Ausschweifungen träumte, verlor ich doch meine sogenannte Unschuld erst im Alter von 16 Jahren. Bis dahin hatte ich mich mit eingebildeten Ausschweifungen und einsamen Genüssen begnügt.
Mein erster Lehrer war ein Freund des Hauses und Jugendfreund meines Vaters ein ehemaliger Kavalleriehauptmann aus Piemont, der alle Kriege in Italien mitgemacht und – so erzählte man – tapfer gegen die Österreicher gekämpft hatte. Er galt für einen vollendeten Wüstling, und man erzählte sich heimlich, er hätte lange Zeit mit einem jungen Manne zusammengelebt und ihm geholfen, drei Viertel seiner Erbschaft aufzuzehren. Dieser Hauptmann lebte von seiner Pension und von zahlreichen Geschäften mit Pferden.
Er war viel gereist und hatte sich lange in
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