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Der Roman eines Konträrsexuellen

Der Roman eines Konträrsexuellen

Titel: Der Roman eines Konträrsexuellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Beichte, die ich Ihnen ablegen wollte; sie ist beendet. Vielleicht werden Sie mich beklagen, denn es ist ja die Gabe der großen Geister, das Gute und das Böse zu kennen und zu begreifen. Inmitten der Gesellschaft, in der ich lebe und in der ich schon allein durch meine Gedanken einsam bin, empfinde ich eine tiefe Traurigkeit und einen großen Ekel. Ich erwache aus diesem Stumpfsinn nur in den wenigen Augenblicken, wo ich mich meiner tollen Leidenschaft überlassen kann, und diese Augenblicke sind selten, denn ich will niemanden mehr in mein trauriges Geheimnis hineinziehen. Die Damen verhätscheln mich sehr; mehr als eine hat mir Avancen gemacht, die ich stets lächelnd zurückgewiesen habe, doch mit wahrhafter Verzweiflung und unter großem Bedauern. Es gefällt mir gut in der Gesellschaft der Damen, die für mich wahrhaft das sind, was die Damen in »La Curée« für Ihren Maxime waren, dem ich ein wenig ähnle: doch ich bin unglücklicher als er, denn meine Natur hindert mich an der Liebe und läßt mir nur die kalte Ausschweifung, die mir schließlich auch verhaßt werden wird.
    Man hänselt mich oft wegen meiner Melancholie und wegen meiner Haltung à la Werther, doch könnte man in meinem Herzen lesen, würde man mich beklagen oder vielleicht über mich lachen. Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, habe ich keine Hoffnung hier auf Erden, und alle Freuden der anderen erscheinen mir als ein mir angetaner Schimpf. Ich sollte immer bleiben, was ich bin: ein hübsches, zierliches, parfümiertes, tadellos elegantes, frivoles und in geheimer Seele ausschweifendes Wesen. Ich sage geheim, denn niemand ahnt, was ich bin und was ich tue. Wenn ich sage niemand, so nehme ich davon die drei oder vier Personen aus, die mich wirklich kennengelernt haben; doch da sie meine Schwäche und meine Schande geteilt haben, brauche ich vor ihnen nicht zu erröten, oder wenigstens würden wir zusammen erröten.
    Und warum sollte ich mich dessen schämen, was ich getan habe? Hat nicht die Natur den ersten Fehltritt begangen und mich zu ewiger Unfruchtbarkeit verurteilt? Ich hätte ein anbetungswürdiges und angebetetes Weib sein können, eine tadellose Mutter und Gattin, und ich bin doch nur ein unvollkommenes, ungeheuerliches Wesen, das sich wünscht, was ihm nicht erlaubt ist, und seinerseits von denen begehrt wird, die er nur als Freundinnen und nicht als Geliebte betrachten darf. Kennen Sie eine schmerzlichere Qual, und ist mein Fehltritt nicht entschuldbar?
    Ich bin überzeugt, verehrter Herr, Sie werden diese Beichte als eines der ungezwungensten menschlichen Dokumente aufbewahren und mir Dank wissen, daß ich sie Ihnen geschickt habe. Ich hoffe, Sie werden sich mit dem begnügen, was Sie über mich erfahren haben, und keine Nachforschungen anstellen, um mehr ausfindig zu machen.
    Ich will Ihnen noch sagen, was Sie hinsichtlich meiner Umgebung und des Milieus, in dem ich lebe, interessieren kann [Fußnote: Anmerkung des Herausgebers Dr. Laupts: »Ich übergehe hier einige Details, die zu charakteristisch sind und Indiskreten vielleicht erlauben würden, die Identität des Autors dieser Bekenntnisse aufzudecken. Um die Hinweise, die er zu seiner Familie gibt, zusammenzufassen, genügt es, darauf hinzuweisen, daß diese Familie väterlicherseits aus angesehenen und hohem Adel stammt«.] .
    ... wären nicht die Mitgift und glückliche Spekulationen gewesen, so würden wir recht traurige Repräsentanten des Adels sein. Die Heirat meines Vaters erklärt unseren Abstieg und unseren Reichtum.
    Meine Brüder sind alle verheiratet und haben eine schöne Familie. Ich bitte Gott stets, er möge keines ihrer Kinder mir körperlich oder moralisch ähnlich werden lassen. Ich fühle, daß ich, wenn ich alt werde, in Frömmigkeit verfallen werde, die mir den einzig möglichen Trost bieten wird. Doch es ist mein glühendster Wunsch, nicht alt zu werden und in der Blüte meiner Jugend und Schönheit zu sterben. Wenn ich alt würde, würde ich mich allzu sehr hassen und verachten.
    Ich habe diesen schon so langen Seiten nichts mehr hinzuzufügen; ich fürchte, Sie schrecklich gelangweilt zu haben, wenn Sie überhaupt den Mut gehabt haben, bis hierher zu lesen. Gleichviel, ich habe meine Seele ein wenig entlastet und mit einer Art rückschauender Wollust die abscheulichen und glühenden Szenen beschrieben, bei denen ich mitgewirkt habe. Ich brauche Ihnen wohl nicht erst zu versichern, daß an meiner Erzählung alles wahr ist; ich hätte keinen Grund

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