Der Rosenmord
weit ist es noch?«
»Nicht weit«, sagte sie. »Es geht zum Bach hinunter, höchstens noch eine halbe Meile. Eigenartig, daß sich hier ein Strauchdieb herumgetrieben hat. Ich will zu den Benediktinernonnen in Godric’s Ford.«
Er schwieg. Es war ihr Wille, und er konnte nichts weiter tun als dafür zu sorgen, daß sie nicht aufgehalten wurden. Er nahm sie in den Arm, und sie gingen den Weg hinunter, der sich bald darauf zu einem grasbewachsenen Reitweg erweiterte, über dem schwaches Licht wie Nebel lag. Unsichtbar hinter den Bäumen ging endlich der Mond auf. Irgendwo vor ihnen schimmerte fließendes Wasser, geheimnisvolle, zitternde Lichttupfer, die auftauchten und wieder verschwanden. Hinter dem Wasser schälten sich die scharfen Kanten von Dächern, einem Zaun und einem kleinen Glockenturm aus der dunstigen Luft.
»Ist es hier?« fragte Niall. Er hatte von der Klause gehört, doch er war noch nie in ihrer Nähe gewesen.
»Ja.«
»Dann bringe ich Euch bis zum Tor und sehe zu, daß Ihr wohlbehalten aufgenommen werdet.«
»Nein, Ihr müßt mit hereinkommen. Ihr dürft jetzt nicht allein zurückkehren. Morgen im Tageslicht werden wir sicher sein.«
»Es gibt hier keinen Platz für mich«, widersprach er zweifelnd.
»Schwester Magdalena wird schon einen Platz finden.« Und ganz plötzlich und leidenschaftlich fügte sie hinzu: »Laßt mich jetzt nicht allein!«
Sie blieben vor dem hohen Holzzaun, der Klause und Gärten einfriedete, stehen. Auch wenn der Mond noch hinter dem waldbestandenen Hochland vor ihren Blicken verborgen war, nahm sein Licht mit jedem Augenblick zu: Gebäude, Bäume, Büsche, die Biegung des Baches und üppige Wiesen an dessen Ufern, alles tauchte langsam aus der Schwärze auf und nahm verschiedene Grautöne an, die sich bald, wenn der Mond aufgegangen war, in Silber verwandeln würden. Eine Hand ans Seil der Glocke gelegt, zögerte Niall, bevor er mit dem lauten Geräusch die Stille störte. Dann zog er am Strick, und das Klingeln hallte weit über das Wasser und durch die Bäume. Es dauerte nicht lange, bis die Pförtnerin murrend und gähnend ans Tor kam und die Klappe öffnete, um zu ihnen hinauszulugen.
»Wer ist da? Wurdet Ihr von der Nacht überrascht?« Sie sah einen Mann und eine Frau, beide unbekannt und anscheinend des Nachts im Wald verirrt. Sie nahm sie für das, was sie zu sein schienen, ehrbare Reisende, die sich verlaufen hatten und auf ein Haus gestoßen waren, das ihnen willkommenen Schutz für die Nacht bot. »Braucht Ihr ein Nachtquartier?«
»Mein Name ist Judith Perle«, sagte Judith. »Schwester Magdalena kennt mich. Sie bot mir eine Zuflucht an, falls ich sie brauchte. Schwester, jetzt brauche ich sie. Und hier bei mir ist ein guter Freund, der mich aus großer Gefahr gerettet und mich wohlbehalten hergebracht hat. Ich bitte auch für ihn um Schutz für die Nacht.«
»Ich rufe Schwester Magdalena«, sagte die Pförtnerin mit kluger Vorsicht und entfernte sich. Die Klappe in der Tür ließ sie offen. Ein paar Minuten später kehrten die beiden zusammen zurück. Schwester Magdalenas helle, kluge, braune Augen blickten voller Neugierde durchs Gitter heraus. Trotz der nächtlichen Stunde war sie hellwach.
»Ihr könnt öffnen«, sagte sie fröhlich. »Da steht eine Freundin, und der Freund einer Freundin ist willkommen wie sie selbst.«
Ohne Aufhebens und große Fragen kümmerte Schwester Magdalena sich im winzigen Sprechzimmer zunächst um das Naheliegende. Sie erwärmte einen kräftigen Wein, um Kälte, Schreck und Furcht aus ihren Knochen zu treiben, rollte Nialls blutigen Ärmel hoch, badete und verband den langen Schnitt in seinem Unterarm und versorgte den Kratzer auf Judiths Schulter mit einer Salbe. Dann flickte sie den langen Riß in Judiths Hemd.
»Sehr ordentlich ist es nicht«, entschuldigte sie sich. »Mit Nadel und Faden konnte ich noch nie gut umgehen. Aber es wird halten, bis Ihr wieder daheim seid.« Sie nahm die Schale mit dem blutigen Wasser und brachte sie fort. Im Kerzenlicht blieben die beiden allein und blickten sich ernst und verwundert an.
»Ihr habt keine Fragen gestellt«, begann Judith langsam. »Ihr habt nicht gefragt, wo ich in den letzten Tagen war, warum ich mitten in der Nacht zu dieser Klause ritt, von einem Mann begleitet. Ihr habt nicht gefragt, wie ich verschwunden bin und wie ich meine Freiheit wiedererlangte. Ich verdanke Euch so viel und habe mich noch nicht bedankt. Aber das will ich jetzt tun, aus ganzem Herzen! Ohne
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