Der Rosenmord
taten, was sie verlangte.
Doch es folgte noch ein zweites Maultier, ein größeres, weißes Tier. Auch auf diesem Tier saß eine Frau, die allerdings nicht die Benediktinertracht, sonder ein dunkelgrünes Gewand trug und sich ein Tuch über das Haar gelegt hatte. Eine große, schlanke Frau, die aufrecht und anmutig im Sattel saß und sehr würdevoll wirkte. Sie kam ihm plötzlich bekannt vor.
Cadfael blieb so abrupt stehen, daß der Bruder hinter ihm in ihn hineinrannte und stolperte. Auch der Abt, der die Brüder angeführt hatte, blieb plötzlich stehen und starrte hinüber.
Also war sie aus eigenem Willen zurückgekehrt. Frei, ruhig und kaum verändert kam sie und brachte alle aus der Fassung.
Judith Perle zügelte ihr Maultier neben Magdalena. Sie war blasser, als Cadfael sie in Erinnerung hatte. Schon von Natur aus war ihre Haut hell und schimmernd wie Perlmutt, doch jetzt schien das Weiß etwas matt. Ihre Lider waren ein wenig geschwollen und schwer von Schlafmangel, bleich und bläulich wie Schnee. Andererseits aber strahlte sie Ruhe und eine stille Heiterkeit aus. Sie hatte sich in der Gewalt, sie erwiderte die erstaunten und fragenden Blicke, ohne die Augen niederzuschlagen.
John Miller kam, um ihr aus dem Sattel zu helfen. Sie legte ihm die Hände auf die Schultern und sprang mit einer Leichtigkeit, die dennoch nicht ganz ihre Müdigkeit verbergen konnte, aufs Pflaster des großen Hofes. Abt Radulfus atmete durch und machte sich auf, die Frau zu begrüßen, die ihm schon entgegenkam, vor ihm das Knie beugte und sich verneigte, um seine ausgestreckte Hand zu küssen.
»Meine Tochter«, begann Radulfus erschüttert und erfreut, »wie ich mich freue, Euch wohlbehalten und gesund wiederzusehen. Wir haben uns große Sorgen um Euch gemacht.«
»Man hat es mir berichtet, Ehrwürdiger Vater«, erwiderte sie leise, »und ich mache mir deshalb Vorwürfe. Bei Gott, es war nie mein Wunsch, daß irgend jemand sich meinetwegen Sorgen mache. Es tut mir leid, Euch, dem Sheriff und so vielen braven Männern solche Schwierigkeiten bereitet zu haben. Ich will es nach Kräften wiedergutmachen.«
»Oh, mein Kind, die Mühe, die man sich um einer guten Sache willen macht, erfordert keine Entlohnung. Das Wichtigste ist, daß Ihr gesund und munter zurückgekehrt seid. Aber was ist geschehen? Wo wart Ihr nur die ganze Zeit?«
»Ehrwürdiger Vater«, sagte sie und holte nach kurzem Zögern tief Luft, »wie Ihr seht, ist mir nichts geschehen. Ich bin geflohen vor einer Last, die mir zu schwer geworden war, um sie allein zu tragen. Ihr müßt entschuldigen, daß ich kein Wort verlauten ließ, aber mein Bedürfnis, es war geradezu ein Zwang, kam plötzlich und drängend. Ich mußte irgendwo Stille und Frieden finden und Zeit zum Nachdenken. All dies hatte Schwester Magdalena mir angeboten, falls ich je der Welt eine Weile entfliehen müßte. Ich ging zu ihr, und sie wies mich nicht ab.«
»Und Ihr kommt geradewegs von Godric’s Ford?« sagte Radulfus staunend. »Die ganze Zeit, während der man Euch für entführt hielt, wart Ihr wohlbehalten und sicher dort untergebracht? Nun, Gott sei Dank! Und die ganze Zeit sind Euch keine Nachrichten über die Aufregung hier zu Ohren gekommen?«
»Kein Wort, Ehrwürdiger Vater«, schaltete Schwester Magdalena sich ein. Sie war abgestiegen und kam ohne Eile näher, während sie mit großen, wohlgeformten und nicht mehr jungen Händen die Falten vom Reiten aus ihrem Gewand strich. »Wir leben da draußen ganz für uns und haben nur selten das Verlangen, diese Welt hier zu sehen. Neuigkeiten erreichen uns nur langsam. Seit ich das letzte Mal hier war, hat uns niemand aus Shrewsbury besucht. Gestern abend erst kam ein Mann aus der Vorstadt vorbei. Darauf brachte ich Judith sofort heim, um der Ungewißheit ein Ende zu setzen und die besorgten Seelen zu beruhigen.«
»Wie ich hoffe«, erklärte der Abt, indem er Judiths bleiches, gefaßtes Gesicht eingehend musterte, »habt Ihr nach den Sorgen, die Euch ins Versteck trieben, ebenfalls die gewünschte Ruhe gefunden. Drei Tage sind allerdings keine lange Zeit, um ein schmerzendes Herz zu heilen.«
Sie erwiderte aus großen grauen Augen seinen Blick und lächelte leicht. »Ich danke Euch, Ehrwürdiger Vater, und ich danke Gott. Ich habe meinen Mut wiedergefunden.«
»Ihr hättet gewiß keinen besseren Ort wählen können«, gab der Abt warm zurück. »Auch ich danke Gott, daß wir alle unsere Sorgen um Euch so glücklich fortschieben
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