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Der Rosenmord

Der Rosenmord

Titel: Der Rosenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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Reiters. Ein weißes Pferd, ein heller Apfelschimmel oder ein Falbe, dessen Fell fast aus sich selbst heraus zu leuchten schien. Zuerst wirkte die Gestalt auf dem Pferderücken massig und unglaublich breit, bis sie durch eine Unebenheit im Boden schwankte und deutlich wurde, daß das Pferd nicht nur einen, sondern zwei Menschen trug. Vorn ein Mann, dahinter eine Frau im Damensitz. Aus einem unkenntlichen Schatten wurden plötzlich zwei, die dennoch nicht eindeutig zu erkennen waren, als Pferd und Reiter vorbeikamen, den Weg kreuzten und gemächlich nach Südwesten ritten. Ein langer Rock flatterte, kleine helle Punkte bewegten sich in der Dunkelheit: Eine Hand, die sich am Gürtel des Reiters festhielt, ein ovales Gesicht, das zum Himmel gehoben wurde, befreit von der Haube, die auf die Schultern der Frau gefallen war.
    Mehr war nicht zu sehen, und doch erkannte er sie. Vielleicht an der Neigung des Kopfes mit dem üppigen Haar, der vor einem nur wenig helleren Himmel vorbeizog, vielleicht an der aufrechten Haltung ihres Körpers; vielleicht auch, weil eine gespannte Saite in ihm durch ihre Nähe angeschlagen wurde.
    Nicht einmal in der Dunkelheit und ohne ihn zu bemerken, konnte diese Frau vorbeikommen, ohne von ihm erkannt zu werden.
    Was hatte Judith Perle hier mitten in der Nacht zu suchen, nachdem sie vor drei Tagen aus ihrem Haus verschwunden war? Warum ritt sie im Damensitz hinter einem Mann nach Südwesten, anscheinend nicht unter Zwang, sondern freiwillig?
    Er blieb reglos und still stehen, bis die kleinen Nachtgeschöpfe jede Furcht vor ihm verloren oder ihn sogar vergaßen. Irgendwo jenseits der Lichtung, wo der Pfad, über den er gekommen war, weiterging, raschelte ein Tier eilig von einem Busch in den nächsten und floh nach Westen in die sichere Dunkelheit. Niall riß sich aus seiner Starre und folgte den gedämpften Huftritten über den grasbewachsenen Reitweg.
    Er konnte nicht glauben und ebensowenig verstehen, was er gesehen hatte. Was steckte dahinter? Wohin ging sie und wer war ihr Gefährte? Was hatte sie vor? Geheimnisse waren es, aber es waren ihre Geheimnisse, und Nialls Glaube an sie war so stark, daß auch dieses seltsame nächtliche Ereignis ihn nicht erschüttern konnte. Sicher war nur, daß er sie durch die Gnade Gottes gefunden hatte. Nun durfte er sie nicht wieder verlieren, nur darauf kam es an. Wenn sie ihn nicht brauchte, wenn sie nicht in Gefahr schwebte, dann würde er sie nicht belästigen. Aber er mußte ihr einfach folgen und sich vergewissern, daß ihr kein Haar gekrümmt wurde, bis dieses dunkle Zwischenspiel beendet war und sie erlöst ins Licht zurückkehren konnte. Er fürchtete, sie für immer zu verlieren, wenn er sie jetzt verlor.
    Er verließ seine Deckung und überquerte den Weg, den sie genommen hatten. Es bestand keine Gefahr, den Weg zu verfehlen; der Wald war so dicht, daß das Pferd jetzt im Dunkeln auf dem Pfad bleiben mußte, und in dieser Dunkelheit konnten sie nicht schneller reiten als im Schritt. Ein Mann, der die Wälder kannte wie Niall, hätte sie zu Fuß leicht überholen können. Doch ihm reichte es für den Augenblick, die Geräusche nicht zu verlieren, die ihn führten. Er mußte nahe genug sein, um einspringen zu können, falls ihr eine Gefahr drohte. Diese Gegend war ihm weniger vertraut als die Wege, die nach Pulley führten, das sie jetzt links liegen ließen, aber das Land war das gleiche, und er fand neben dem Pfad mühelos einen Weg durch die Bäume, schneller als das Pferd vorankam. Bald hörte er dicht vor sich das leise, gleichmäßige Tappen der Hufe und das leise Klingeln des Zaumzeuges, wenn das Pferd, aufgeschreckt durch ein Geräusch im Unterholz, den Kopf schüttelte. Zweimal vernahm er auch das kurze, helle Klingeln der Glocken, fast wie ein Ruf zum Gottesdienst. Er war nahe genug und konnte rasch eingreifen, falls es nötig war.
    Sie ritten in gleichmäßigem Tempo nach Südwesten und drangen tiefer in den großen Wald ein. Hier gab es kaum noch Lichtungen und Flecken mit Heide und Felsen. Weiter als eine Meile ging es so, und immer noch behielten die Reiter ihre Richtung bei und bewegten sich in der gleichen Geschwindigkeit weiter. Wolken sammelten sich, der Himmel wurde dunkler. Wenn Niall aufblickte, konnte er gerade noch die höchsten Äste der Bäume vor dem Himmel erkennen. Er breitete die Hände aus, um seinen Weg zwischen den Bäumen zu ertasten, und hielt sich ständig in Hörweite des Pferdes.
    Einmal überholte er es sogar.

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