Der rostende Ruhm
Schüler, sich plötzlich hassend wie nichts auf der Welt. Schwester Cäcilia sah von ihnen weg auf ihre Instrumente, der junge Assistenzarzt kümmerte sich um die Atmung und kontrollierte immer wieder den Kreislauf, um bloß nicht aufzublicken und in eine Stellungnahme gedrängt zu werden.
Professor Bergh faßte Dr. Thoma am Ärmel des Operationskittels. Aber bevor er ihn zur Seite stoßen konnte, rollte die Schiebetür auf. Die junge Schwester kam mit dem Präparat zurück.
»Was ist es?« schrie Dr. Thoma über die Schulter Berghs hinweg.
»Eine Knochenlues. Sie hatten recht …«
Professor Bergh wandte sich zu der jungen Schwester um. Er sah, wie sie mit ängstlichem Gesicht die Präparatschale auf einen Seitentisch abstellte und sich dann hinter das große Narkosegerät drückte.
In die beklemmende Stille platzte Berghs Stimme.
»Wer hat die Diagnose abgegeben?« fragte er heiser.
»Herr Professor Dr. Borra.«
Bergh sagte nichts mehr. Professor Borra war der Chef der Pathologie und unbestrittener Experte. Seine Diagnosen waren einwandfrei und nicht anzuzweifeln.
Bergh ging zu dem kleinen Tisch. Er nahm die Präparatschale und sah das kleine Geschwulststück an, das Dr. Thoma exzisiert hatte. Dann ging er an den OP-Tisch zurück, beugte sich über den freigelegten Knochen und riß eine Sonde aus der Hand Schwester Cäcilias. Er tastete damit das gummöse Geschwür ab und warf dann die Sonde zurück auf den Instrumententisch. Dr. Thoma stand hinter ihm, schweißbedeckt, laut und tief atmend.
»Was soll ich tun?« fragte er. »Haben Herr Professor …«
»Haben Sie mich vorher gefragt, was Sie tun sollen?« Bergh fuhr herum, als habe man ihn in den Rücken gestochen. »Da Sie ein so großer Arzt zu sein scheinen, werden Sie ja wissen, was Sie hier zu tun haben!«
»Ich würde vorschlagen …«
»Machen Sie, was Sie wollen!«
Professor Bergh ließ den Assistenten stehen und verließ mit schnellen Schritten den Operationssaal. Die Glasschiebetür zum Vorbereitungsraum krachte durch den Schwung, den sie bekam, so laut zu, daß Schwester Cäcilia sich über die Festigkeit des Glases wunderte.
»Das wird der Chef Ihnen nie vergessen!« sagte sie zu Dr. Thoma, der sich von der jungen Schwester wieder seinen Mundschutz umbinden ließ.
»Ist es unter der Würde eines Chefs – und wenn er noch so berühmt ist –, einen Irrtum einzugestehen? Er ist doch wie wir alle nur ein Mensch!«
»Ein Chef irrt sich nie vor der Öffentlichkeit!«
Dr. Thoma sah auf den offenen Schenkel und dann auf das bleiche Gesicht des Patienten. Der schnarchte laut in der Narkose, unterbrochen von gemurmelten Worten, die niemand verstand. Zweiunddreißig Jahre alt, dachte Dr. Thoma. Schornsteinfegermeister. Verheiratet, drei Kinder. Was hätte er nach einer Oberschenkelamputation tun können? Was ist ein Schornsteinfeger mit einer Beinprothese noch wert? Er kann auf kein Dach mehr, er verliert das Gleichgewichtsgefühl, er hätte sein ganzes Leben beruflich ändern müssen. Durch eine Fehldiagnose.
»Ich werde mich nachher beim Chef entschuldigen«, sagte Dr. Thoma leise. »Auch – wenn ich recht hatte.«
Schwester Cäcilia fädelte Catcut in die gebogene Nadel. Ihr blasses Gesicht war wie immer starr wie die Haube auf ihrem Kopf.
»Ich glaube kaum«, sagte sie, »daß Sie mit der Entschuldigung ankommen.«
Im Chefzimmer stand Professor Dr. Bergh hinter der Gardine am Fenster und starrte in den Garten der Klinik hinab. Mitten im Raum stand Dr. Werth, vom Chef durch die Haussprechanlage eiligst herbeigerufen.
Seine Niederlage im OP war mehr als eine nur berichtigte Diagnose. Er wußte es, und er sah keinen Ausweg, diesen fatalen Eindruck zu verwischen oder gar ungeschehen zu machen. Auch wenn er Dr. Thoma entließ, würde dieser Fall sich sehr schnell herumsprechen. Baron v. Boltenstern und vor allem Verwaltungsdirektor Bernsteg warteten ja auf eine solche Gelegenheit, um seine Position noch weiter zu erschüttern.
»Ich muß mit Ihnen reden, Herr Werth«, wandte Professor Bergh sich um und schaltete das Licht im Lichtkasten an. Seine Stimme war schneidend und irgendwie mitleidlos. »Es ist etwas geschehen, was ich in Zukunft nicht mehr dulde! Und ich kann Sie von einer großen Schuld nicht freisprechen!«
»Mich?« Oberarzt Dr. Werth wurde rot. Schuld, dachte er. So redet man mit einem Mörder! »Ich bitte Sie, Herr Professor, deutlicher zu werden«, sagte er gepreßt.
»Gleich! Ich warte nur auf die Unterlagen.«
Es
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