Der rostende Ruhm
Scherz. »Man muß sich mit der Presse gutstellen, Brigitte – vielleicht kann ich durch die öffentliche Meinung mehr überzeugen als durch eigene Worte, die doch nur vom Kuratorium als bloßer Schall gewertet werden!«
Brigitte Teschendorff hörte aus seinen Worten einen Unterton heraus, der sie aufmerksam machte. Er schickte das Mädchen nicht fort. Die Motivierung, damit vielleicht die öffentliche Meinung zu gewinnen, schien ihr zu konstruiert. Sie glaubte zumindest ein persönliches Interesse herauszuhören. Sie beobachtete, wie Bergh mit einem kleinen Taschenkamm über sein Haar fuhr und dann die Goldbrille putzte.
»Du willst dieses Fräulein Orth doch noch herumführen?« fragte sie ahnungsvoll.
»Ja.«
»Dann bin ich ja überflüssig und kann gehen.«
»Brigitte!«
Sie schmiegte sich an ihn. Ihre Augen bettelten.
»Ich wollte mit dir nach Hause und dich auf andere, schönere Gedanken bringen. Aber diese warten anscheinend unten im Einlieferungszimmer.«
»Es ist dumm, was du sagst.« Professor Bergh lachte plötzlich. »Wie kann man eifersüchtig sein auf ein kleines Mädchen, das ich heute sehe und morgen schon nicht mehr kennen werde.« Er zog Brigitte Teschendorff an sich und küßte sie auf die Augen. »Wann sehen wir uns?«
»Ich weiß nicht.« Sie machte sich steif, als wäre seine Liebkosung etwas Beleidigendes.
»Ich rufe dich an …«
»Wie ein Call-Girl!«
Professor Bergh seufzte. »Ich habe nicht erwartet, daß nach diesem turbulenten Vormittag auch du noch auf mich einhackst. Ich komme mir wie ein Kadaver vor, auf dem die Geier hocken.«
Er nahm seinen Hut, sah Brigitte noch einmal an – und als sie den Kopf abwandte, verließ er schnell das Zimmer und ließ die Tür hinter sich zuschlagen.
»Ich sehe mir diese Gabriele an!« schrie Brigitte Teschendorff hysterisch, als Bergh aus dem Zimmer war. »Und wenn mich ein einziger Blick stört, werfe ich dich von deinem Podest – du – Genie …!«
Die Führung verlief ohne weitere Zwischenfälle.
Nur im Leichenkeller, den Bergh nicht umging, auch als Gabriele Orth fragte, ob gerade dieser Teil der Klinik wichtig wäre, wurde es ihr ein wenig schwach in den Knien. Die Reihe der auf den Tischen liegenden Toten, zugedeckt mit großen Leinentüchern, die bis zu den Knöcheln gingen, während die Füße gelblich-weiß herausragten und an deren Gelenk die Zettel mit Namen, Todesursache und Todestag hingen, jener trotz Kühlanlage leicht süßliche Geruch und die wie in einem riesigen Gewölbe hallenden Schritte legten sich Gabriele wie eine erstickende Hand an die Kehle. Sie würgte und mußte sich an Bergh lehnen.
»Ich glaube, ich habe genug gesehen«, sagte sie kläglich.
»Es folgt noch eine Operation. Dr. Thoma amputiert gerade einen Oberschenkel. Knochensarkom.«
»Muß das sein?« Gabriele starrte auf die Reihe der leblosen Füße mit den Zetteln daran. Übelkeit stieg in ihr hoch. Sie lehnte den Kopf an Berghs Brust und schloß die Augen.
»Wenn man über etwas schreiben will, muß man sich erst genau orientieren, Fräulein Orth.«
»Ich weiß.« Sie schüttelte den Kopf und lehnte sich dann wieder an seine Brust. »Ich war ein Schaf, Herr Professor.«
»Aber ein nettes …«
»Danke.« Sie wandte sich um, um die lange Reihe der Toten nicht mehr zu sehen. »Können wir jetzt wieder nach oben gehen? Und die Operation schenken Sie mir, bitte – ich falle bestimmt dabei um.«
Als sie aus dem Leichenkeller kamen und die Rolltür des Fahrstuhls öffneten, stand Brigitte Teschendorff auf dem Flur. Sie sah aus dem Fenster in den Innenhof und tat sehr erstaunt, als sie sich bei dem Geräusch des Fahrstuhls umwandte und Bergh und Gabriele Orth allein hervorkamen.
»Welch ein Zufall!« sagte sie mit einer überdeutlichen Freundlichkeit. Sie nahm mit einem inneren Zusammenzucken wahr, daß Gabriele ihren Arm in den Berghs geschoben hatte und blaß und etwas verstört aussah. Die Übelkeit war noch in ihr, und das Hinaustreten aus dem dumpfen Halbdunkel des Leichenkellers in das grelle Licht des Tages war wie ein Schock.
»Ich bin Brigitte Teschendorff«, sagte sie. »Ist er nicht ein wunderbarer Führer, unser lieber Professor?«
Ihre Ironie und die Kampfansage waren so deutlich, daß Gabriele ihren Arm von Bergh wegzog und sich straffte.
»Ich weiß jetzt, was ich wissen wollte«, sagte sie laut.
Brigittes Lächeln war wie das Grinsen einer Wildkatze. »Das freut mich. Der Herr Professor mag nämlich die Presse
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