Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der rostende Ruhm

Der rostende Ruhm

Titel: Der rostende Ruhm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Erkenntnis gekommen war, daß er, der berühmte Arzt, sich in die Hand seines Stellvertreters gegeben hatte und nur ein Reklameschild geworden war, hatte er den unbändigen Drang verspürt, mit jemandem zu sprechen. Er wollte sich etwas von der Seele reden, er wollte einen Menschen vor sich haben, der ihn verstehen konnte.
    Er hatte an Brigitte Teschendorff gedacht. Aber dann verwarf er diesen Gedanken wieder. Ihr Benehmen Gabriele Orth gegenüber hatte ihn abgestoßen. Auch wußte er, daß er mit Brigitte nicht die Dinge besprechen konnte, die ihn so sehr bedrückten. Sie kannte nur eine Form der Tröstung, und gerade diese eindeutige Bekanntschaft, alle Probleme in das Schlafzimmer zu verlegen, war etwas, dem er heute völlig abhold war.
    Mit Erna, seiner Wirtschafterin, konnte er nicht sprechen. Es war unmöglich. Freunde hatte er kaum – und die wenigen, die ihm nach dem Ruhm geblieben waren und ihm diesen nicht mißgönnten, erwarteten von ihm Zoten über sexual-hysterische Patientinnen oder Witze, wie sie an Ärzte-Stammtischen dargeboten werden.
    So war er, fast unbewußt handelnd, zur Gerhardus-Gasse hundertvierundneunzig gefahren. Zu Gabriele Orth, die für einen Augenblick die konventionellen Schranken durchbrach, als sie sich im Leichenkeller an Berghs Brust warf und ihr Gesicht an seinem Revers versteckte.
    In diesem kurzen Augenblick ehrlichen Schutzsuchens hatte Bergh etwas gespürt, was er jetzt aus der Tiefe hervorholte und was ihm Mut gab, die Tür zu öffnen und das schmale, ungepflegte ›Nix-Gern-Haus‹ zu betreten.
    Aus einem Fenster im Souterrain, das hinaus auf den langen Flur ging, wurde der struppige Kopf des Hausmeisters sichtbar. Er saß in Hemdsärmeln und mit heruntergelassenen Hosenträgern am Radio und hörte sich eine Quizsendung an. Das Erscheinen eines deutlich auszumachenden ›feinen Herrn‹ jagte ihn an das Klappfenster. Feine Herren haben immer eine Zigarre für die Hausmeister in der Tasche oder einen Zehnschillingschein.
    »Wo wollen S' denn hin?« fragte der Hausmeister deshalb freundlich und lächelte, obwohl er einen Teil des Quiz verpaßte.
    »Zu Fräulein Orth. Sie ist doch im Hause?«
    »G'kommen ist sie. Aber schlafen wird s' halt.«
    »Ich bin ein alter Bekannter.« Professor Bergh griff in die Tasche und legte einen Fünfzig-Schilling-Schein auf das Fensterbrett. Der Hausmeister bedeckte ihn mit seiner breiten Hand.
    »Daran gibt's nix zu zweifeln, Herr Graf«, sagte er würdevoll. Ein guter Hausmeister muß Menschenkenntnis haben. Die erst macht ihn zum ›Hausverwalter‹.
    Vor der Tür Gabriele Orths im fünften Stockwerk zögerte Professor Bergh noch einmal. Was will ich denn hier, dachte er wieder. Es ist doch widersinnig, daß ein Mann wie ich abends zu einem Mädchen geht, das er seit kürzester Zeit erst kennt. Dann aber überfiel ihn wieder das Bild seiner Einsamkeit, das er vorfinden würde, wenn er jetzt nach Hause fuhr.
    Er schellte.
    Hinter der Wohnungstür blieb es still.
    Er schellte noch einmal und hörte, wie irgendwo ein Lichtschalter knackte. Ein dünner Streifen Licht leuchtete unter der Tür in den dunklen Flur. Schritte schlurften verschlafen, tappten über einen Dielenboden – Füße in weichen Pantoffeln. Dann hörte er eine Stimme – es war, als gähne sie beim Sprechen.
    »Wer ist denn da?«
    »Bergh …«
    »Machen Sie keinen Blödsinn, Mann!« Gabriele Orth schien wach geworden zu sein. Ihre Stimme wurde klarer. »Wer ist denn da?«
    Bergh lächelte. Die Derbheit von Gabrieles Worten, ihre Natürlichkeit, ihr Mangel an Furcht oder Verblüffung – das alles war es, was Bergh suchte.
    »Sie hören richtig, Fräulein Orth. Hier ist Bergh«, sagte er.
    »Professor Dr. Bergh?«
    »Wenn Sie die Tür aufmachen, werden Sie sehen, ich bin's!«
    Das Schloß knackte. Der Schlüssel drehte sich knirschend, dann schwang die Tür auf. Gabriele Orth war in einem weißen Pyjama mit roten Rüschen. In der langen Jacke und den Hosen und mit ihren kurzgeschnittenen nußbraunen Haaren sah sie fast wie ein Junge aus. »Sie sind's tatsächlich«, sagte sie.
    »Ist das so ungewöhnlich?«
    »Finden Sie das nicht auch?« Sie schien sich ihres Nachtgewandes nicht besonders zu schämen, sondern schloß hinter Professor Bergh die Tür wieder ab. Dann fuhr sie sich mit beiden Händen durch die Haare, wie sie es immer tat, wenn sie nachdenken mußte, wenn irgend etwas sie sehr stark beschäftigte. »Der berühmte Arzt –«, sagte sie ungelenk, aber Bergh winkte

Weitere Kostenlose Bücher