Der rostende Ruhm
in die Glasschale fallen. Eine junge Schwester nahm sie sofort und lief aus dem OP. Die Pathologie war mit dem Auto in fünf Minuten zu erreichen. Zehn Minuten würde die Schnelldiagnose dauern – fünf Minuten zurück – in gut fünfundzwanzig Minuten konnte Dr. Thoma den Befund in den Händen halten. Es waren fünfundzwanzig Minuten untätigen Wartens, auszufüllen mit Beobachtungen des Kreislaufes und der Atemzüge des Narkotisierten, ab und zu ein leises Wort oder – nach Aufheben der schützenden, warmen Kompresse – ein Blick auf den Knochen und das angebliche oder tatsächliche Sarkom.
Ungefähr zehn Minuten nach der Probeexzision betrat Professor Bergh den OP. Die Glasschiebetür knirschte leise in den Gleitschienen. Dr. Thoma blickte nicht auf, er hatte die Kompresse wieder abgenommen und stillte eine kleine Blutung, die durch die Exzision entstanden war. Von unten her beobachtete er den jungen Assistenten und Oberschwester Cäcilia. Sie waren bleicher als sonst und schienen unsicher zu werden.
Professor Bergh stand dicht hinter Dr. Thoma.
Thoma hatte ihn nicht kommen hören. Die dicken Gummisohlen der OP-Schuhe saugten jeden Laut weg. Aber er spürte die Anwesenheit des Chefs, als strahle dessen Körper eine unheimliche Wärme aus. Es war, als verbrenne das Fleisch des Nackens unter dem Atem Berghs. Er muß ganz eng hinter mir stehen, dachte Dr. Thoma. Wenn ich mich jetzt aufrichte, stoße ich mit dem Kopf gegen sein Kinn. Er blieb gebeugt über dem Bein stehen und begann plötzlich, zu schwitzen. Der Schweiß brach so gewaltig aus seinen Poren, als sei die Haut unter der Strahlung geplatzt.
»Was machen Sie denn da?« fragte Professor Bergh ruhig. Dr. Thoma richtete sich langsam auf. Sein Gesicht war gerötet. Wie ein ertappter Schuljunge, der seine Aufgaben nicht gemacht hat, sieht er aus, dachte Schwester Cäcilia. In diesem Augenblick tat Dr. Thoma ihr leid. Was jetzt kommen mußte, konnte die Beendigung seiner klinischen Laufbahn bedeuten.
»Ich habe eine Probeexzision gemacht, Herr Professor, und sie hinüber zur Pathologie zur Schnelldiagnose geschickt.«
»Soso.« Bergh beugte sich über den offenen Schenkelknochen. »Sie zweifeln die Diagnose Dr. Werths an? Von meiner Diagnose ganz zu schweigen …«
»Ich sah da einige Unklarheiten …«
»Sie sahen Unklarheiten! Interessant!« Berghs Stimme wurde spöttisch. Sie troff von Hohn und jagte Dr. Thoma helle Röte in das Gesicht. »Sie schöpfen Ihre Diagnosen ja auch aus einem großen Erfahrungsschatz, nicht wahr, Herr Assistent?«
Dr. Thoma schluckte. Der Schweiß rann ihm über das Gesicht und sammelte sich unter dem Mundtuch an. Er riß es ab und atmete tief durch.
»Ich bin zwar eine Nummer gegen Sie, Herr Professor …«, sagte er tapfer.
Bergh nickte. »Woher diese Einsicht, Herr Thoma?«
»… aber trotzdem betrachte ich diese Geschwulst nicht als Sarkom …«
»Nein? Und als was betrachtet der große Assistent diese Geschwulst?«
»Als eine Knochenlues III.«
»Idiotie!« sagte Bergh laut. Er hob plötzlich die Faust und ließ sie auf den Tischrand niederfallen. So gewaltig war der Hieb, daß der Narkotisierte bebte. »Das ist ein Sarkom!« brüllte Bergh. »Und ich hatte angeordnet, sofort hoch im Gesunden zu amputieren! Ihre Probeexzision ist eine unerhörte Spielerei! Sie wagen es, über meine Anordnungen und die Ihres Oberarztes einfach hinwegzugehen und das zu machen, was Sie, Sie kleiner Gernegroß, Sie chirurgischer Säugling, für richtig halten?«
»Ja, ich habe es gewagt«, sagte Dr. Thoma klar. Er hatte seine Haltung wiedergewonnen und sah dem tobenden Bergh starr ins Gesicht.
»Meine Handschuhe! Mantel! Ich amputiere!« schrie Professor Bergh. »Ich lasse mich doch nicht von einem Laffen brüskieren!« schrie er wieder. »Und es wird amputiert!«
Für Dr. Thoma kamen wenige Minuten eines unwahrscheinlichen persönlichen Mutes. Er stellte sich vor Professor Bergh auf und versperrte ihm damit den Weg zu dem Narkotisierten.
»Ich habe den Eingriff begonnen – und ich beende ihn auch!« sagte er hart. »Ich stehe dafür gerade!«
»Sie werden sofort Ihre Sachen packen!« brüllte Professor Bergh. »Das ist ja eine Revolte im Operationssaal! Aus dem Weg – oder ich verschaffe mir Zugang zu dem Patienten.«
Sie standen sich gegenüber, der junge Arzt mit den schwarzen, jetzt schweißnassen Locken und der große, schlanke, weltberühmte Professor Bergh, der Träger der Hippokrates-Medaille. Der Chef und der
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