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Der rostende Ruhm

Der rostende Ruhm

Titel: Der rostende Ruhm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Falle das Leberbett beschädigen würde. Eine Serosainzision ist vollkommen unmöglich, da mir auf Grund der Verwachsungen keine Serosamuskularishülle bleibt, mit der ich durch Einrollung das Leberwundbett versorgen könnte. Es bleibt uns also nur die Elektrochirurgie!«
    Dr. Werth warf über seinen Mundschutz hinweg einen schnellen Blick auf die anderen Ärzte. Sie umstanden den Operationstisch und hörten den Worten Berghs zu. In ihren Augen lag Bestätigung und Anerkennung. Er siegt wieder, dachte Dr. Werth. Er bringt längst bekannte Dinge mit einem solchen Charme und einer solchen Überzeugungskraft hervor, als seien sie neu und bahnbrechend in der Medizin. Wäre er ein Artist, so würde man sagen: Er verkauft sich teuer.
    Professor Bergh sah zur Seite auf das Elektrogerät. Es stand bereits unter Strom. Schwester Cäcilia hielt an dem langen, dünnen Kabel das elektrische Messer.
    »Bitte«, sagte Bergh und streckte die Hand aus.
    Das Elektromesser lag zwischen seinen Fingern. Er spürte das Vibrieren des Stromes durch seinen ganzen Körper. Zum erstenmal! dachte er. Zum erstenmal mache ich das!
    Dann beugte er sich über die entleerte, schlaffe Gallenblase und die Verwachsungen im Leberbett.
    Im Wartezimmer ging Ministerialrat Erich Wollny unruhig hin und her. Er sah auf die Uhr, öffnete die Tür und lauschte nach draußen, als er Schritte über den Gang kommen hörte. Ein junger Arzt strebte schnell der Milchglastür zu. Ministerialrat Wollny hielt ihn an.
    »Sie gehen in den OP, Herr Doktor?« fragte er heiser vor Erregung und Angst.
    »Ja.« Der junge Arzt sah den fremden Mann kurz an.
    »Meine Frau wird dort gerade operiert.«
    »Die Elektrokoagulation des Professors?«
    »Wie es heißt, weiß ich nicht. Aber im Augenblick wird meine Frau operiert. Wollen Sie dorthin?«
    »Der Herr Professor hat uns alle aufgefordert, zuzusehen. Es ist die erste Cholezystektomie auf elektrischem Wege, die wir hier im Hause machen …«
    »Was – was – ist das?« In Wollny zerriß etwas. Er spürte es. Es war wie ein Schnitt quer durch sein Herz. Es brannte erst höllisch, dann wurde es eiskalt. »Sie haben das noch nie gemacht?«
    »Ich nicht. Aber der Professor! Er demonstriert uns heute, wie man operiert.« Der junge Mann schien zu merken, daß er schon zuviel und zu offen gesprochen hatte. Er lächelte zuversichtlich Erich Wollny an und nickte ihm mehrmals zu. »Sie können froh sein, daß Ihre Gattin in diese genialen Hände gekommen ist. Sie können hundertprozentig beruhigt sein!«
    In diesem Haus zum erstenmal! In diesem Haus zum erstenmal! Und meine Frau, gerade meine Frau! dröhnte es in Wollny.
    Der junge Arzt hielt Wollny fest, als dieser mit einem Satz an ihm zur Pendeltür des OP-Traktes stürmen wollte. Wollny wollte sich losreißen, aber der junge Arzt hielt ihn mit beiden Händen fest.
    »Was wollen Sie denn tun?« keuchte er. »Sind Sie verrückt geworden, Mann?«
    »Er soll aufhören! Er soll aufhören!« rief Wollny. »Er bringt meine Frau um! Er bringt sie um!«
    »Mensch! Halten Sie den Mund! Sie sind ja wirklich wahnsinnig!« Der junge Arzt zerrte Wollny in das Wartezimmer und drückte ihn auf einen Stuhl. »Was fällt Ihnen ein, solch einen Blödsinn zu schreien? Wer sind Sie überhaupt?«
    »Ministerialrat Wollny vom Bundespresseamt!« keuchte Wollny. »Ich lasse mir meine Frau nicht wegexperimentieren! Ich werde einen Skandal machen, der über ganz Europa geht!« Er sprang wieder auf und rannte an die Tür. Aber der junge Arzt war schneller und riß ihn zurück.
    »Professor Bergh hat sich nie geirrt!« sagte er. »Er ist der souveräne Mann am OP-Tisch. Sie sollten wirklich mehr Vertrauen haben.«
    »Ich habe ja Vertrauen«, sagte Wollny ein wenig kläglich. »Aber ich habe auch Angst. Können Sie das nicht verstehen?«
    »Nicht bei Professor Bergh, Herr Ministerialrat! Der Chef ist ein Genie!«
    »Aber auch nur ein Mensch!«
    »Doch was für ein Mensch! Und darauf kommt es an!«
    Unterdessen operierte Bergh mit einer Sicherheit, als habe er in all seinen Chirurgenjahren nichts anderes getan, als nur zu koagulieren. Dr. Werth und die anderen Ärzte sahen verblüfft zu, wie er die Gallenblasenwände abquetschte und dann wegbrannte, die verbliebenen Schleimhäute über dem Leberbett ebenfalls wegsengte und dann, wie bei der sonstigen Normaloperation, die Serosasäume vernähte.
    Kein Tropfen Blut quoll aus dem Leberwundbett hervor, obwohl die Galle samt allen Verwachsungen weggebrannt wurde.

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