Der rostende Ruhm
Werth an. »Ich sehe es, mein Lieber. Ich bin kein erstes Semester mehr …«
Dr. Thoma sah auf seine Hände. Die Zurechtweisung war milde, fast freundschaftlich, aber sie hing an Dr. Werth wie zähflüssiger Sirup.
»Wir hatten an eine Cholezystektomie gedacht«, sagte Dr. Werth unbeirrt.
»Natürlich.« Professor Bergh trat an den Lichtkasten heran. Er legte seinen Finger, wie vorher Werth, auf die Aufnahme der Galle und sah zu Dr. Thoma hinüber, als spräche er ihn persönlich an. »Ich werde eine Elektrokoagulation mit plastischer Netzdeckung nach Thorek machen.«
»Eine Elektrokoagulation …«, sagte Dr. Thoma verwirrt. »Hier?«
»Haben Sie Angst, Herr Thoma?«
»Ich habe diese Methode noch nie gesehen, Herr Professor.«
»Dann werde ich sie Ihnen zeigen.« Bergh drehte das Licht im Kasten aus. Es bedeutete soviel wie: Es gibt keine Diskussionen mehr. »Wir sind ein modernes Krankenhaus – und wir operieren modern! Und wir wagen etwas!«
»Selbstverständlich, Herr Professor.« Dr. Thoma preßte seine Mappe gegen die Seite. Wenn es bloß gutgeht! dachte er. Wenn es bloß gutgeht! Die Frau des Ministerialrates Dr. Wollny …
»Ist die Patientin vorbereitet?« Bergh sah Oberarzt Dr. Werth an. Dieser nickte.
»Intubationsnarkose mit Curarin. Als Analgetica wurde vor einer Stunde Dolantin gegeben.«
»Allgemeinzustand?«
»Gut.«
»Lassen Sie alle freien Assistenten in den OP I kommen.« Professor Bergh zog seine Jacke aus und griff nach dem weißen Kittel. »Ich möchte die Elektrochirurgie in meiner Klinik vervollständigen. Ich danke, meine Herren.«
Er blieb hoch aufgerichtet stehen, bis die beiden Ärzte stumm das Zimmer verlassen hatten. Dann – mit dem Zuklappen der Tür – fiel die Maske der Selbstsicherheit von ihm ab.
Er trat an den Lichtkasten, schaltete ihn ein und starrte auf die Gallenblase wie auf einen tödlichen Feind.
Elektrokoagulation, dachte er, und um sein Herz wurde es eiskalt. Dreimal hatte er sie gesehen – nie hatte er sie allein gemacht. Doch, einmal, an einem Affen – und das Tier starb an einem Schock …
»Ich werde es ihnen zeigen!« sagte er laut zu dem Röntgenbild.
Er brauchte eine große Tat, um allen Widerwärtigkeiten, die kommen konnten, die tödliche Spitze abzubrechen.
Während im OP I alles für den Eingriff vorbereitet wurde, saß Ministerialrat Erich Wollny am Fenster und rauchte nervös eine Zigarette. Vor ihm stand eine Flasche Cognac und ein halbleer getrunkenes Glas. Dr. Werth hatte ihm gesagt, daß seine Frau in wenigen Minuten von Professor Bergh selbst operiert würde.
Er hörte nicht das lautlose Eintreten des Chefarztes und fuhr erschrocken herum, als Bergh ihn ansprach.
»Herr Wollny …«
Der Ministerialrat sprang auf. Er warf die Zigarette in den Aschenbecher und umklammerte die Tischkante.
»Herr Professor Bergh – nicht wahr? Ist – ist etwas mit meiner Frau?«
»In wenigen Minuten beginne ich mit der Operation. Sie wissen, was Ihre Gattin hat. Ich werde die Gallenblase ausräumen und nach einer neuen Methode aus dem Leberbett lösen.«
Erich Wollny griff mit zitternden Fingern nach einer neuen Zigarette. »Eine neue Methode?« sagte er dabei. »Die alte Gallenblasenentfernung war doch immer gut genug! Ich möchte nicht, daß an meiner Frau experimentiert wird, Herr Professor.«
»Es ist eine voll ausgereifte Operationsmethode und kein Experiment«, entgegnete Bergh sichtlich steif. »Die Elektrochirurgie gehört zu den sichersten Techniken.«
Bergh nickte Ministerialrat Wollny zu und verließ ebenso lautlos, wie er gekommen war, wieder das Wartezimmer. Wollny griff nach dem Glas Cognac und trank es wie ein Verdurstender leer.
»Woher nimmt er nur diese Sicherheit?« sagte er laut zu sich selbst. »Er ist doch auch nur ein Mensch …«
Maria Wollny lag angeschnallt und mit weißen Tüchern abgedeckt, bereits narkotisiert auf dem OP-Tisch, als Professor Bergh den Vorbereitungsraum betrat.
Die Röntgenplatten waren vom Chefzimmer herabgeholt und in den großen Lichtkasten des Vorraumes eingeschoben worden. Sie leuchteten Bergh entgegen, als wollten sie ihn noch einmal warnen. Durch die großen Scheiben zum OP hin sah er um den Tisch ein Gewimmel von weißen Mänteln, Schürzen und Schwesternhauben. Alle Ärzte und Schwestern, die abkommen konnten, hatte Oberarzt Dr. Werth in den OP I gerufen. Als spürten sie das Kommen des Chefs, drehten sie sich beim Eintritt Berghs in den Vorraum alle herum und sahen ihn durch die
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