Der rostende Ruhm
Schreibtisch und weinte. Bergh hörte ihr verhaltenes Schluchzen. Er drehte sich nicht vom Fenster zu ihr um – er biß verbittert die Lippen aufeinander und starrte auf die zuckende Neonreklamen.
»Was soll ich noch in Wien?« fragte er nach einer ganzen Zeit des Schweigens.
Gabrieles Kopf zuckte hoch.
»Du hättest Freunde genug, wenn du jetzt ein Mann wärest und um deinen Ruhm kämpfen würdest, anstatt dich zu verkriechen wie ein geprügelter Hund!« sagte Gabriele hart und schonungslos. Sie wußte plötzlich, daß nur unerhörte Härte und eine geradezu inquisitorische Unnachgiebigkeit Bergh dazu zwingen konnten, sich zu stellen und aus seinem beleidigten Stolz herauszureißen.
Bergh schwieg. Aber seine Finger krallten sich in der Gardine fest und strafften sie, als wolle er sie herunterreißen. Auch Gabriele sprach nicht weiter – jetzt fiel die Entscheidung, fühlte sie. Diese Minuten der Stille und des inneren Kampfes entschieden über den weiteren Weg Professor Berghs.
»Wann fahren wir nach Wien?« fragte er leise. Gabriele senkte den Kopf. Ihre Spannung löste sich in befreiendem Weinen auf.
»Morgen früh – so früh, wie möglich!«
»Und was sagt Dr. Czernik dazu? Glaubt er denn, was man da geschrieben hat?«
»Keiner glaubt es, der dich kennt, Martin.«
»Und – und – wenn es wahr wäre?« Er starrte sie aus hohlen, brennenden Augen an. Gabriele schüttelte den Kopf. Sie brachte es sogar fertig, zu lächeln.
»Es ist nicht wahr. Ich weiß, was du kannst …«
»Wenigstens ein Mensch, der an mich glaubt.« Bergh verbarg das Gesicht in den Händen. »Ein einziger Mensch auf dieser Welt.«
Oberarzt Dr. Werth erstarrte, als er in das Chefzimmer trat und Bergh hinter seinem Schreibtisch sitzen sah. Die Sekretärin hatte nicht mehr Zeit gehabt, Werth zu informieren. Er suchte einen Krankenbericht, war in Eile und ließ sich durch einige fuchtelnde Armbewegungen der Sekretärin nicht aufhalten. Auch hatte der Portier Bergh nicht ins Haus kommen sehen. Er mußte durch eine Kellertür in die Klinik gekommen sein und war sicherlich mit dem Lastenaufzug nach oben gefahren.
»Sie – Herr Professor …«, stotterte Dr. Werth überrumpelt. »Ich habe nicht gewußt …«
»Man scheint hier im Hause vieles nicht zu wissen.« Professor Bergh sah Oberarzt Dr. Werth über seine goldeingefaßte Brille scharf an. »Warum liegen die Wochenberichte nicht auf meinem Tisch?«
»Ich habe sie bei mir. Ich dachte …«
»Sie fühlen sich schon als Chef, Herr Werth? Ein bißchen früh. Im allgemeinen zerhacken die Geier nur Aas, nicht Lebendes.«
»Herr Professor!« Dr. Werth war blaß geworden. Seine Hautfarbe unterschied sich nicht mehr von dem weißen Kittel, den er trug. »Ich habe rückhaltlos zu Ihnen gestanden. Ich habe nur unter Druck …«
»Wer hat Sie gezwungen?«
»Herr Teschendorff im Namen des Kuratoriums!«
»Herr Teschendorff?« fragte Bergh erstaunt. »Das ist …« Er sprach nicht weiter, sondern starrte auf eine Uhr, die auf dem Schreibtisch stand und leise tickte. »Auch dem Kuratorium gegenüber sind Sie nicht verpflichtet, Ihre ärztliche Schweigepflicht zu brechen. Nichts kann den Arzt davon entbinden, ebensowenig wie den Priester von seinem Beichtgeheimnis! Aber Sie und Herr Thoma haben gesprochen!«
»Wir wurden vor Tatsachen gestellt, die wir nur bestätigen brauchten.«
»Tatsachen?« schrie Bergh plötzlich unbeherrscht. Er fuhr von seinem Stuhl hoch und hieb mit der flachen Hand auf den Tisch. »Sie sagen wirklich: Tatsachen?«
Dr. Werth schwieg. Aber dieses Schweigen war eine Antwort, die Bergh nicht überhören konnte. Er tat es auch nicht – er drehte sich brüsk um und wandte Dr. Werth den Rücken zu.
»Wie denken Sie sich unsere weitere Zusammenarbeit?« fragte er. »Soll ich mit einem Oberarzt arbeiten, der seinen Chef verrät?«
»Die gesamte Klinik stand und steht noch hinter Ihnen, Herr Professor. Fehler werden überall gemacht.«
»Fehler?« rief Bergh empört.
»In jeder Klinik kommt eine Fehldiagnose oder ein Kunstfehler bei der Operation vor. Dafür sind wir Menschen und nicht unfehlbar. Aber man spricht nicht darüber. Wir alle zermartern uns die Köpfe, wer diese Dinge an die Öffentlichkeit weitergegeben haben könnte. Wir kennen keinen aus unserer Mitte, der zu so etwas fähig wäre. Kein Arzt, keine Schwester, kein Pfleger …«
Natürlich, er kann es ja nicht wissen, dachte Bergh. Was weiß der gute Dr. Werth von Brigitte Teschendorff? Aber von
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