Der rostende Ruhm
Klinik übernehmen …«
»Das lehne ich ab!«
»Er hat Ihnen nichts von diesem Brief gesagt?«
»Kein Wort.«
»Dann wird das Erdbeben noch kommen.« Die Sekretärin setzte sich. Die Knie wurden ihr weich. »Ist das denn alles wahr, was da in der Zeitung steht?«
»Fragen Sie mich nicht!« sagte Dr. Werth und ging schnell aus dem Zimmer.
Den Brief des Kuratoriums hatte Professor Bergh gleich nach seinem Eintritt in das Zimmer gelesen. Er hatte ihn erwartet. Daß sein Oberarzt solange die Leitung der Klinik übernehmen sollte, war selbstverständlich. Deshalb sprach er auch mit Dr. Werth nicht darüber.
Nachdem Oberarzt Dr. Werth ihn verlassen hatte, rief er zunächst das Bundeskanzleramt an und bat um eine Unterredung mit dem Bundeskanzler. Dann rief er Dr. Czernik an, die Ärztekammer und am Ende Josef Teschendorff.
Teschendorffs Stimme war sehr reserviert und abgehackt. Die Freundlichkeit, die er auf dem Golfplatz von Schloß Hainaue an Bergh verschwendet hatte, war in eine eisige Abwehr umgeschlagen.
»Wo sind Sie jetzt?« fragte er. Bergh umkrampfte den Telefonhörer.
»Wo ich hingehöre – in meiner Klinik!«
»Haben Sie den Brief des Kuratoriums …«
»Soll ich dieses Schreiben ernst nehmen?« unterbrach Bergh barsch.
»Ich bitte darum!«
»Sie identifizieren sich also mit dem Geschmiere?«
»Das Kuratorium ist verpflichtet, die ungeheuren Vorwürfe zu überprüfen. Im Interesse der Kranken …«
»Haben Sie sich nie geirrt, Herr Teschendorff?« fragte er schwach.
»Doch! Als ich dachte, ein Genie zu gewinnen. Ich dachte, sein Name ist wie ein Versprechen – er ist der Gipfel der Arztkunst, ein Himalaja der Chirurgie. Und was haben wir eingehandelt? Vielleicht einen Maulwurfshügel …«
Bergh legte den Hörer auf. Er warf ihn zurück, als verbrenne er ihm die Handfläche. Wie betäubt saß er dann hinter seinem breiten Schreibtisch. Er war leer. Keine Akten, keine Röntgenbilder, keine Krankheitsgeschichten, keine Berichte. Nur der Brief des Kuratoriums lag auf der blanken Holzfläche. Der Tisch eines Abgesetzten. Eines Geächteten.
Oberarzt Dr. Werth und Dr. Thoma, die wenig später zum Sekretariat kamen, die Arme voller Krankengeschichten und Röntgenbilder, um dem Chef seine Arbeit und seine Verantwortung wiederzubringen und ihm zu sagen, daß sie bedingungslos hinter ihm standen, fanden das Chefzimmer leer.
Nur der Brief des Kuratoriums lag einsam auf der leeren, dunklen Tischplatte.
Niemand nahm ihn auf, um ihn zu lesen.
Als die Ärzte die Tür schlossen, wurde er vom Zugwind ergriffen und flatterte unter den Tisch auf den Boden.
Wortischek wartete im Chefzimmer, als Professor Bergh mit Dr. Czernik vom Bundeskanzler zurück in die Klinik kam. Er wußte, daß in wenigen Sekunden durch die Rundsprechanlage die ganze Klinik das Ungeheuerliche wußte: Der Chef ist gekommen! Und er lacht sogar! Er ist bester Laune! Und er hat noch einen anderen Herrn bei sich.
Wortischek hatte es sich bequem gemacht. Er saß in einem der tiefen Besuchersessel und rauchte eine Zigarette, die er aus dem Teakholzkasten genommen hatte, der auf dem Schreibtisch Berghs stand. So schnell, wie Bergh in sein Zimmer stürmte, konnte er nicht aufspringen – verlegen drückte er die Zigarette aus und blieb hilflos sitzen.
»Aha!« sagte Bergh und musterte Wortischek. »Machen Sie es sich nur bequem, mein Lieber. Warum legen Sie eigentlich die Beine nicht auf den Tisch? Das ist noch bequemer, und außerdem fördert es den Kreislauf!«
Wortischek wurde rot und stand auf. Sein verschlossenes Gesicht war verkniffen. Dr. Czernik betrachtete ihn mit dem Ausdruck unverhüllter Antipathie. Wortischek fühlte es und senkte den Kopf.
»Wer ist denn das?« fragte Dr. Czernik.
»Herbert Wortischek. Einmal Erster Krankenpfleger dieses Krankenhauses.« Professor Bergh ging hinter seinen Schreibtisch und legte seinen schwarzen Hut auf den Stapel der wieder in sein Zimmer gekommenen Krankengeschichten. Er trug noch den schwarzen Anzug von dem Kanzlerempfang. Sofort vom Bundeskanzler war er mit Czernik zur Klinik gefahren.
»Er wurde vor einigen Wochen fristlos entlassen, weil er Sterbende in kalte Badezimmer rollen ließ und Schwerverletzten die letzten Linderungen versagte, weil sie ja doch sterben würden!«
»Unerhört!« sagte Czernik empört. »Das werde ich sofort der staatlichen Gesundheitsbehörde melden.« Er wandte sich an Wortischek, der mürrisch, wie immer, an der Tür stand und stumm zuhörte. »Ich werde
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