Der rostende Ruhm
nicht mehr zu lesen und der Versuchung zu entgehen, es hinunter zur Setzerei zu geben.
Am Abend aber hatte Sporenka eine glänzende Idee. Sie war ein Opfer, aber er war bereit, dem Journalismus bis zu einer gewissen Grenze Märtyrerdienste zu leisten.
Er meldete sich krank, beantragte beim Verlagsleiter Urlaub für zwei Wochen, versprach ein ärztliches Attest nachzureichen und übergab dem Chef vom Dienst seinen Schreibtisch und die unerledigten Manuskripte.
»Sie werden allerlei finden«, sagte er. »Material ist genug da. Die Politik kommt ja ohnehin gematert an. Und nun – gut Holz!« Er sagte es nicht ohne Schadenfreude und verschwand in den sicheren Hort seines Bettes.
Sporenka brauchte nicht lange zu liegen.
Schon am zweiten Tag stand der Artikel auf der Titelseite.
Er rief sofort bei der Verlagsleitung an. »So eine Schweinerei!« brüllte er. »Kaum ist man weg, passiert so eine Panne! Ich sage ja immer: Journalismus ist in erster Linie Fingerspitzengefühl! Aber das fehlt dem Nachwuchs. Die benehmen sich wie Böcke im Frühling! Kann man denn nicht ein paar Tage krank werden? Es ist unerhört!«
Dann legte er den Hörer energisch hin und las genußvoll mit der Zunge schnalzend den Artikel über Bergh. ›Die vom Ruhm zerstörte Galle.‹
Professor Martin Bergh ahnte nichts von diesem Artikel in dem ›Wiener Morgengruß‹. Mit Dr. Paul Czernik, dem staatlichen Kommissionär der Gesundheitsbehörde war er nach München gereist, um auf dem dortigen Chirurgenkongreß einen Vortrag über Regeneration der Krebszelle und der Zellzerfallabwehrung durch Aminosäuren zu halten. Auch Gabriele Orth war mitgefahren – als Berichterstatterin.
In Bergh aber hatte Dr. Czernik so etwas wie einen Freund gefunden. Es war eine stille Freundschaft, die nie nach außen drang, aber nie hatte Czernik seit dem Wirken Berghs das St.-Emanuel-Krankenhaus kritisch besucht, nie hatte er auch nur einen zweifelnden Gedanken verschwendet, als die Artikel über den Chefarzt in der Zeitung erschienen. Und auch in München, während des Chirurgenkongresses, reichte er Bergh wie einen riesigen, unbezahlbaren Diamanten von Party zu Party, ließ ihn bewundern, entfachte den Neid der anderen Ärzte und forderte Kritiken und Streitgespräche heraus, die Bergh mit einer Souveränität ohne Beispiel meisterte und seine Zuhörer überzeugte.
Am dritten Tag des Kongresses schien es, als ziehe eine leichte Unruhe durch die Reihen der Ärzte, als Professor Bergh und Dr. Czernik den Saal des Deutschen Museums betraten, um einen Vortrag über die Strahlenbehandlung des Blasenkrebses anzuhören. Bergh wollte dann in der Diskussion auch sprechen und seine Erfahrungen als Urologe darlegen.
Gabriele Orth saß auf der Pressebank und sah hinüber zu Bergh. Es war ein verliebter Blick, mit dem sie ihn musterte. Der große Bergh! dachte sie. Und wenn er mir gegenübersteht, ist er wie ein schamhafter Pennäler und benimmt sich ungelenk und tapsig. Nur einmal hat er mich geküßt – beim Tanz in einem Schwabinger Kellerlokal, in das Czernik sie geführt hatte. Und sofort nach dem Kuß war er rot geworden und hatte gesagt: »Entschuldigen Sie, Gabriele!«
Ein Saaldiener kam von der Seite zur ersten Sitzreihe und überreichte Bergh ein Programmformular. Aber jeder sah – und viele bemerkten diese Handlung und warteten auf seine Reaktion –, daß zwischen dem Programm eine zusammengefaltete Zeitung hervorragte.
Bergh dankte mit einem Nicken. Er schlug das Programm auf, stutzte, als er die Zeitung sah, und wurde blaß, als er die Überschrift las, die man geschickt nach oben gefaltet hatte.
›Die vom Ruhm zerstörte Galle …‹
Dr. Czernik schielte zur Seite. Er wagte nicht, sich einfach zu Bergh zu beugen und mitzulesen. Aber er sah, wie Bergh erbleichte, das Programm wieder zuschlug und es mit zitternden Fingern in die Seitentasche seines Rockes schob.
Dann erhob er sich, groß, schlank, elegant, verneigte sich kurz vor dem schon am Rednerpult stehenden Vortragenden und verließ mit schnellen Schritten, aber aufrecht und stolz, den großen Saal des Deutschen Museums.
Dr. Czernik folgte ihm sofort. Auch Gabriele Orth drängte sich an ihren Pressekollegen vorbei und rannte aus dem Saal.
»Wo ist ein Telefon?« fragte Czernik heiser die Garderobenfrau.
»Um die Ecke. Da sind sieben Zellen.«
»Danke.«
Er rief Wien an. Den Innenminister und den Bundeskanzler, Teschendorff und den kranken und um die Folgen zitternden Sporenka. Was er
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