Der rostende Ruhm
wem wurden die internen Dinge aus der Klinik an Brigitte Teschendorff weitergegeben? Wer war der Zwischenträger? Denn die Informationen Brigittes waren genau. Sie waren schreckliche Wahrheit, gegen die er nicht vorgehen konnte, ohne sich lächerlich zu machen.
»Es gibt hier in diesem Haus eine Lücke!« sagte Bergh. Er wandte sich zu Dr. Werth wieder um. Der Oberarzt stand an der Tür, mit kantigem Gesicht und zusammengepreßten Lippen. »Können Sie mich nicht verstehen, Herr Werth? Ich vertraue auf meine Mitarbeiter, wie vielleicht nie ein Chef auf seine Assistenten vertraut hat, weil ich weiß, was Sie und die anderen Herren können – und da ist unter uns so ein Lump, der die Aufbauarbeit systematisch untergräbt und unsere Klinik an den Rand des Ruins bringt. Was man gegen mich hat, das könnte ich mit einem Lächeln übergehen«, sagte er stolz, »aber mit der Schmähung meines Rufes zerstört man das Vertrauen zu der Klinik! Auch das Vertrauen zu Ihnen, Herr Werth, und zu den anderen tüchtigen Kollegen! Sie werden mit mir in einen Topf geworfen und verkocht – das ist nun eben die Volksmeinung!«
Bergh kam um den Tisch herum und trat nahe an Dr. Werth heran. Seine Augen hinter den blanken Brillengläsern funkelten.
»Was können wir tun?« fragte er leise.
»Kämpfen, Herr Professor! Den Widersinn des Schmähartikels beweisen.«
»Mit dem Skalpell in der Hand? Es ist schwer, sich einen Namen zu eroperieren – aber einen verlorenen Namen durch das Messer wiederzugewinnen, ist aussichtslos. Bei uns Ärzten gibt es kein Comeback!«
»Erheben Sie Klage gegen diese Schmierzeitung!«
»Wollen Sie im Dreck wühlen? Habe ich es überhaupt nötig, mich irgendwie zu verantworten?«
»Sie haben die öffentliche Meinung gegen sich, Herr Professor.«
»Ich kann auf sie verzichten!«
»Können wir das wirklich?« Oberarzt Dr. Werth trat an das Fenster des Chefzimmers. Von ihm aus hatte man einen Blick auf die Gartenanlagen und seitlich auf die Anfahrt für die Krankenwagen, die hier ihre Bahren ausluden. Von dort kamen sie sofort in die große Aufnahme und wurden dann auf die Stationen verteilt.
Sieben Krankenwagen standen vor dem großen Tor und warteten. Aber sie luden keine Kranken aus, sondern sie nahmen Kranke auf, die auf Bahren, an Krücken, verbunden, mit Gehgips oder von Verwandten gestützt, aus der Klinik kamen.
»Sehen Sie bitte hinaus, Herr Professor«, sagte Dr. Werth mit gepreßter Stimme.
Bergh trat an das Fenster und blickte durch die Gardine hinunter auf die Krankenwagen.
Er war bleich, aber er beherrschte sich bewunderungswürdig.
»Die Wirkung der öffentlichen Meinung«, fuhr Dr. Werth leise fort. »Eine Massenflucht aus der Klinik! Sie alle verlassen das Haus auf eigene Gefahr. Sie haben nicht gezögert, die Erklärungen zu unterschreiben. Was die anderen Krankenhäuser Wiens und Österreichs über uns denken, dürfte klar sein.«
»Und was haben Sie unternommen?« Bergh wandte sich brüsk vom Fenster weg. »Warum haben Sie diese Patientenpanik nicht aufgehalten?«
»Das ist unmöglich, Herr Professor.«
»Unmöglich?« Bergh schüttelte wild den Kopf. »Das gibt es bei uns nicht!«
Schon wieder große, tönende Worte, dachte Dr. Werth erschrocken. Selbst jetzt kann er es nicht lassen, den großen Mann zu spielen. Er macht ein großes Theater, er zieht eine Schau auf – und dahinter ist die Trostlosigkeit und völlige Hilflosigkeit.
»Ich kann es nicht«, sagte Dr. Werth ehrlich.
Bergh nickte. »Gehen Sie zurück zum OP. Ich werde diese Massenhysterie besänftigen. Ich bin ja wieder da …«
Mit sehr gemischten Gefühlen und durchaus nicht überzeugt, daß Bergh die Lawine aufhalten könne, verließ der Oberarzt das Chefzimmer. Im Sekretariat erwartete ihn die Sekretärin und legte den Finger auf die Lippen, als er etwas fragen wollte.
»Er war plötzlich da«, flüsterte sie mit einem Blick auf die Chefzimmertür. »Er sah aus, als würde er etwas Schreckliches tun. Noch nie habe ich ihn so gesehen! Was hat er zu Ihnen gesagt?«
»Er will weitermachen.«
»Hier?«
»Natürlich. Wo denn sonst?«
»Hat er denn noch nicht das Schreiben vom Kuratorium gelesen?«
»Ein Schreiben?« Oberarzt Dr. Werth nagte an der Unterlippe. »Es scheint nicht so …«
»Das Kuratorium beurlaubt ihn …«
»Unmöglich!« sagte Dr. Werth. Es war ihm, als schnüre man ihm die Luft ab. »Das ist doch völlig unmöglich!«
»Sie sollen bis zur Klärung aller Vorfälle die Leitung der
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