Der rostende Ruhm
Wortischek, wieder Erster Pfleger und Hilfe im OP, saß auf einem Stuhl neben dem Sterilkocher und erzählte den jungen aufgeregten Schwestern einige sehr derbe Witze. Er hatte Clemens Moosbaur bereits versorgt und zu ihm gesagt: »Gut, daß der Tumor im Bauch und nicht im Gehirn sitzt.«
Der andere Ruhige war Professor Bergh. Er saß in seinem Chefzimmer, rauchte eine Zigarre und las in dem Testbericht einer Autofirma. Er hatte die Absicht, sich einen neuen Wagen zu kaufen. Dr. Czernik, der ihm bei einem kurzen Besuch über die Schulter sah, schüttelte den Kopf und rannte wieder hinaus.
»Er liest über das Verdichtungsverhältnis eines neuen Motors«, sagte er draußen zu Oberarzt Werth. »Ein Mann, der solche Nerven hat, mein Gott, der hat überhaupt keine Nerven!«
Um acht Uhr vierzig Minuten wurde Clemens Moosbaur in den Vorbereitungsraum gerollt.
Durch die großen Scheiben, die OP und Vorbereitungsraum trennten, starrten hundert Augen auf die langgestreckte Gestalt Moosbaurs. Noch war er völlig abgedeckt mit weißen Tüchern, aber jeder wußte, daß er darunter nackt war und daß in wenigen Minuten sein Bauch weit offenstand und die Hand eines gottbegnadeten Mannes den Tod aus seinem Inneren holte.
Acht Uhr fünfzig Minuten. Professor Dr. Bergh betrat den Vorbereitungsraum. Ganz in Weiß. »Sogar sein Gesicht ist weiß«, flüsterte eine Journalistin zu Gabriele Orth.
Er ging an seinen Waschtisch, wusch sich gründlich und ließ sich dann von einer Schwester die Handschuhe überstreifen und die Maske festbinden.
Dann wandte er sich um und sah durch die Scheiben auf die Zuschauer und auf den noch leeren OP-Tisch.
In der ersten Reihe, ihm gegenüber, saß Brigitte Teschendorff. Sie starrte zu ihm hinüber mit großen, brennenden Augen. Mit Augen, aus denen Hunger und Haß schrien und eine verborgene Angst vor dem, was sie sehen mußten.
Clemens Moosbaur wurde vornarkotisiert. Im OP würde Dr. Thoma dann intubieren. Dr. Czernik kam herein und stellte sich neben Bergh. Als er Brigitte Teschendorff sah, verbeugte er sich galant. Aber sie sah durch ihn hindurch, als sei er aus Glas. Die Fernsehkameras schwenkten herum und fotografierten Bergh und Czernik bei den sterilen Vorbereitungen. Oberarzt Dr. Werth kontrollierte den Patienten. Moosbaur lächelte in der Narkose.
»Können wir anfangen?« fragte Bergh. Er sah sich um. Alle Augen ruhten auf ihm.
»Bitte«, sagte Czernik gefaßt.
Die große gläserne Schiebetür öffnete sich lautlos. Bergh betrat den OP. Hinter ihm schob Wortischek den leise schnarchenden Moosbaur in den Saal. Das Surren der Film- und Fernsehkameras war um und über ihnen wie ein riesiger Hornissenschwarm.
Bergh trat an den Tisch und starrte auf die Riemen und das glänzende Nickelgestänge. Er grüßte nicht, er sprach kein Wort – er senkte den Kopf und spürte im Nacken den Blick Brigittes.
Dr. Czernik wartete einen Augenblick. Dann sagte er an Stelle Berghs: »Meine Damen und Herren – ich begrüße Sie im Namen von Herrn Professor Dr. Bergh. Sie sehen heute die Entfernung eines apfelgroßen Tumors aus dem Oberbauch. Um den Gang der Operation nicht zu stören oder zu unterbrechen, bitte ich alle Herrschaften, denen es vielleicht beim Anblick des Eingriffes unpäßlich werden könnte, vorsichtshalber den Raum zu verlassen. Sie werden draußen im OP II die Operation dann auf dem Bildschirm miterleben können.«
Niemand erhob sich. Auch Brigitte Teschendorff blieb sitzen. Bergh drehte sich um und sah sie an. »Geh!« hieß dieser Blick. »Bitte – geh!«
Sie wandte den Kopf zur Seite und sprach mit Baron v. Boltenstern. Belangloses Zeug. Nur, um zu sprechen. Nur, um nicht schwach zu werden.
Bergh trat zur Seite. Wortischek und ein junger Pfleger hoben Clemens Moosbaur auf den OP-Tisch. Schnallten ihn fest. Der Operationsraum wurde freigelegt. Er war bereits braungelb mit Jod bepinselt. Dr. Thoma begann mit der Intubationsnarkose.
Das Schicksal Clemens Moosbaurs glitt in die Hände Berghs über …
Im Operationssaal herrschte völlige Lautlosigkeit. Nur das leise Klappern der Instrumente, ein Klirren von Metall und Glas, ein Knistern der Kompressen und Abdecktücher umgab die weißen, vermummten Gestalten. Es war, als atmeten die über hundert Zuschauer nicht. Selbst die Ärzte sahen mit einer gewissen Spannung auf Professor Bergh. Die Entfernung eines Tumors aus dem Oberbauch war keine Kunst. Es war eine Operation, wie sie in großen Kliniken fast täglich vorkam – und
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