Der rostende Ruhm
doch erwartete man heute etwas Außergewöhnliches, etwas Dramatisches, etwas Erstaunliches, was diesem Eingriff die Berechtigung gab, aus der Vielzahl der Tumorexstirpationen herauszuragen.
Dr. Czernik und Oberarzt Dr. Werth hatten mit kurzen Worten die Diagnose erklärt und die Röntgenbilder gezeigt. Die Fernsehkameras schwenkten zu Bergh hinüber. Er stand neben dem in der Narkose etwas unruhigen Moosbaur und hatte den Kopf noch immer gesenkt.
Plötzlich drehte er sich zu Czernik herum und legte seine Hand auf dessen Arm.
»Wir sollten nicht reden, sondern endlich anfangen!« sagte er so laut, daß es jeder im Saal hörte. In seiner Stimme lag die ganze Mißachtung, die er vor diesem Forum seiner ›Richter ohne Richterbefähigung‹ – wie er die Zuschauer noch vor zehn Minuten bezeichnet hatte – empfand.
Oberschwester Cäcilia reichte ihm das Skalpell. Mit einem eleganten Schwung schnitt er in die Haut ein – ein bogenförmiger Unterrippenschnitt, der den Ober- und Mittelbauchraum gut übersichtlich machen würde.
Dr. Czernik stillte die geringe Blutung. Dr. Werth hielt bereits die Arterienklemmen bereit. Bergh sah über den Rand seiner Brille kurz zu Brigitte hinüber. Sie saß leicht vornübergebeugt, und starrte auf seine Hände. Ihr Mund war halb geöffnet, ihre Lippen glänzten vor Feuchtigkeit. So kenne ich sie, dachte Bergh mit einem schweren Druck in der Brust. Aber in einer anderen Situation, mit wirren Haaren und wie im Fieber glänzenden Augen, mit einem weißen, schlangenhaften Körper und zuckenden, tastenden und krallenden Händen, deren Fingernägel sich in sein Fleisch drückten und blutige Spuren hinterließen.
Er arbeitete sich tiefer vor. Dr. Werth klammerte ab, Dr. Thoma kontrollierte Kreislauf und Atmung. Ein süßlicher, sich auf die Zunge legender Geruch breitete sich aus – Blut, die Ausdünstungen des offenen Bauches.
Dr. Czernik war der erste, der es sah. Er starrte Bergh ratlos an. Auch Dr. Werth sah zu ihm hinüber. Was nun, sagte dieser Blick.
Bergh richtete sich auf. Er legte die Schere, mit der er das Operationsfeld freigelegt hatte, zur Seite.
»Meine Damen und Herren«, sagte er laut. In seiner Stimme lag ein so deutlicher Sarkasmus, daß sogar Baron v. Boltenstern ein spöttisches Lächeln in den Mundwinkeln aufgab und ernst wurde. »Worauf Sie sicherlich gewartet haben, ist schneller eingetreten, als Sie gehofft hatten. Der Ober- und Mittelbauch ist frei! Es ist kein Tumor zu sehen! Wir haben uns in der Diagnose geirrt! Wir alle!«
Durch die hundert Menschen ging ein Raunen. Es war wie ein lautes Ausatmen von hundert gespannten Lungen. Josef Teschendorff wischte sich mit zitternden Fingern und einem weißen Seidentaschentuch den perlenden Schweiß von der Stirn. Brigitte saß bleich, verwirrt und mit unnatürlich weiten Augen in der ersten Reihe und starrte auf Berghs Augen über dem Mundschutz.
»Es handelt sich, das ist jetzt klar, um ein Hypernephrom der rechten Niere. Wir werden diesen Nierentumor jetzt präperitoneal exstirpieren.«
Mein Gott, durchfuhr es Oberarzt Dr. Werth. Auch das noch! Er will wirklich von vorn die Niere angehen und ein Hypernephrom von dieser Richtung aus herausnehmen?! Das ist ja fast Irrsinn! Er sah die möglichen Komplikationen vor sich, als lese er sie in einem Lehrbuch der Chirurgie nach. Seine Gedanken jagten sich. Unaufhaltsame Blutungen, Arterienverletzungen, Harnleiterzerstörungen – man hatte ja überhaupt keine Übersicht, wenn man von vorn an die Niere heranging!
Dr. Czernik beugte sich bleich über den Operationsraum.
»So eine Schweinerei«, raunte er Bergh zu, als auch dieser sich herunterbeugte und die Lampe tiefer dirigierte. Ein starker Scheinwerfer wurde herangerollt und stieß seinen Lichtkegel tief in die Bauchhöhle hinein. Es wurde glühend heiß unter den Lampen. Der Blutgeruch legte sich wie eine Gallertmasse auf die Zunge, nistete in den Augenwinkeln und vermischte sich mit dem Schweiß auf den Handflächen. Schweiß der Erregung und der Angst.
Bergh streckte die Hand nach hinten aus. Zögernd legte Schwester Cäcilia die Schere in die gummibehandschuhten Finger. Dr. Czernik atmete keuchend.
»Sie wollen wirklich präperitoneal exstirpieren?« flüsterte er heiser.
»Warum nicht?«
»Ich schlage eine neue Sitzung vor.« Dr. Czernik wischte mit dem Ärmel seines Kittels völlig unter Mißachtung der Sterilität den Schweiß von seiner Stirn. »Wir machen zu, brechen die Operation ab und nehmen das
Weitere Kostenlose Bücher