Der rostende Ruhm
Hund an. Josef Teschendorff senkte den Kopf. Seine Backenknochen zitterten durch die angespannte Gesichtshaut.
»Dr. Werth muß das Bein amputieren. Ein drei Zentimeter langer Schlagaderriß – da ist gar nichts mehr zu machen …«
Brigitte lehnte den Kopf an Teschendorffs Schulter. Plötzlich weinte sie. »Es gibt gar keine Möglichkeit mehr?«
»Nein.« Oberarzt Dr. Werth schüttelte den Kopf. Dann sah er auf seine Hände und schielte zu Dr. Thoma hinüber, der mit verkniffenem Gesicht auf dem Gang stand. »Es gäbe vielleicht einen Hoffnungsstrahl – einen ganz schwachen nur …«
»An was denken Sie, Herr Oberarzt?«
»Ich kenne einen großen Kollegen, der sich seit Jahren mit Transplantationen im Adersystem beschäftigt hat. Er hat sogar einige Arbeiten darüber geschrieben. Aber es blieb nur Theorie …«
»Hier kann er die Praxis beweisen!« rief Teschendorff laut. »Ich stelle ihm alles zur Verfügung! Her mit dem Mann! Wo wohnt er?«
»In Wien …«
»Lassen Sie ihn sofort holen! Wer ist es denn?!«
»Professor Dr. Bergh …«
»Nein!« schrie Brigitte auf. »Nein! Das lasse ich nicht zu! Nie! Nie!« Sie umklammerte Josef Teschendorff und drückte sich wild an ihn. »Er kann es nicht. Er operiert unsere Regi zu Tode – er kann es nicht! Sag nein, Josef. Sag nein!«
Josef Teschendorff sah starr auf Oberarzt Dr. Werth. In dessen Augen sah er das unbedingte Vertrauen zu seinem Vorschlag.
»Holen Sie Bergh!« sagte er fest.
»Sie haben großes Glück, Herr Teschendorff. Er ist vor einer Stunde zurückgekommen. Er ist zu Hause. Seine Wirtschafterin rief mich heimlich an.«
»Schicken Sie meinen Wagen zu ihm.« Teschendorff legte beide Arme um Brigitte und preßte ihren Kopf, den sie in wilder Verzweiflung schüttelte, an seine Brust. »Er wird Regina retten«, sagte er stockend. »Wir müssen an ihn glauben. Wir müssen.«
Professor Bergh hatte gerade die Abendzeitung weggelegt und wollte in sein Arbeitszimmer gehen, um eine Erklärung für die Presse zu entwerfen, als es schellte.
Er hörte Erna erregt sprechen, Afra bellte wütend – dann wurde die Tür aufgerissen und Dr. Thoma rannte mit schweißbedecktem Gesicht in das Zimmer.
»Herr Professor!« rief er atemlos. »Sie müssen sofort kommen, Herr Professor!«
»Was sagen Sie da?!«
»Herr Teschendorff läßt Sie bitten!« schrie Dr. Thoma fast verzweifelt. »Es ist ein Autounfall – seine Tochter Regina … Auch Frau Teschendorff …«
Bergh ließ Dr. Thoma nicht zu Ende sprechen. Er rannte an ihm vorbei aus dem Zimmer und schrie in der Diele:
»Erna! Meinen Mantel! Wo ist mein Mantel?!«
Fünf Minuten später raste der Wagen durch die dunkle Nacht. Quer durch Wien, alle Lichtsignale mißachtend, mit heulender Hupe.
»Ist – ist Frau Teschendorff auch verletzt?« fragte Bergh.
»Nein. Die Tochter war allein im Wagen …«
»Wie hoch ist der Blutverlust?«
»Fast zwei Liter!« sagte Dr. Thoma leise.
»Mein Gott! Mein Gott! Und da kommt ihr jetzt erst zu mir …«
Dr. Thoma schwieg und sah auf seine Hände. Sie lagen verkrampft im Schoß und zerknüllten den Hut. Dabei fiel sein Blick auf die Armbanduhr. Der Sekundenzeiger tickte leise – er raste über das Zifferblatt mit den goldenen Zahlen. Er raste höllisch schnell. Und jede Sekunde konnte ein Todesurteil sein …
»Warum sagen Sie nichts?« fragte Bergh. Er bog in die Straße ein, in der die Klinik lag. Schon von weitem sah er den hellerleuchteten Eingang und die Einfahrt, die weit offen stand. Der Portier stand auf der nächtlichen Straße und starrte den Weg hinab, den der Chef kommen mußte.
Sie warten auf mich, durchfuhr es Bergh. Sie haben mich nötig! Sie erkennen in mir den Chef!
»Ich möchte Sie um Verzeihung bitten, Chef –«, sagte Dr. Thoma leise.
»Erledigt!« Bergh nickte. Der Wagen raste durch die Einfahrt, bremste scharf vor dem Eingang. Das Kreischen seiner Bremsen hörte man bis zum Vorbereitungszimmer des OPs.
»Da kommt er!« sagte Wortischek und atmete erleichtert auf. »Jetzt kann's ja losgehen.«
Oberarzt Dr. Werth ging an Teschendorff vorbei in den OP und schob die dicke Glastür hinter sich zu. Was wären wir jetzt ohne den Chef – trotz seines verrosteten Ruhmes –, dachte er.
Durch die Seitentür betrat Bergh den OP. Er hatte es vermieden, durch das Vorbereitungszimmer zu gehen. Er wußte, daß dort Brigitte und Josef Teschendorff standen. Er wollte sie nicht sprechen – es war genug, daß er sie durch die Glaswände sehen
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