Der rostende Ruhm
Teschendorff schüttelte den Kopf, als sie die Nässe zu spüren begann, dann richtete sie sich mühsam auf. Mit großen Augen sah sie zu Gabriele empor, die sich nicht bückte und ihr nicht beim Aufstehen half.
»Und was werden Sie tun?«
»Abwarten.«
»Und dann?«
Quälende Angst sprach aus dieser Frage. Gabriele Orth hob die Fotos vom Teppich auf und steckte sie wieder in die Tasche.
»Sie werden die Bilder und die Negative bekommen. Und Sie werden Martin von diesem Tag an in Ruhe lassen!«
Brigitte Teschendorff sprang auf.
»Ich werde mit meinem Mann sprechen und ihn bitten, Martin Bergh das Vertrauen des Kuratoriums auszusprechen. Als sichtbares Zeichen werden wir Bergh die lange gewünschte Frischoperierten-Abteilung einrichten. Sie wird mit allem Instrumentarium ungefähr dreihunderttausend Schillinge kosten. Ich werde sie von meinem Geld bezahlen müssen. Als Stiftung!« Brigitte drehte sich zu Gabriele Orth. Sie hatte wieder den stolzen, hochmütigen Zug um den Mund. Sie begann nun, die Situation zu übersehen und zu beherrschen. »Sind Sie jetzt zufrieden?«
»Es kommt auf den Erfolg in der Öffentlichkeit an. Warten wir es ab.«
»Ja, warten wir es ab!« sagte Brigitte giftig. »Sie haben mich in der Hand! Was bleibt mir anderes übrig …«
Sie brauchten nicht zu warten.
Nur wenige gute Bekannte des Hauses Teschendorff wußten, daß Josef und Brigitte Teschendorff eine erwachsene Tochter hatten. Regina Teschendorff lebte in einem exklusiven Pensionat in der Schweiz, in Lausanne, wo sie neben Sprachen und Hauswirtschaft auch die letzten Feinheiten des großen gesellschaftlichen Lebens studierte, um als vollendete Dame später auf Schloß Hainaue das Erbe anzutreten.
Nun war sie auf zwei Wochen nach Wien gekommen. Das Pensionat hatte Ferien gemacht. Regina ritt viel in den Wäldern spazieren, segelte mit Freunden auf dem Neusiedler See oder besuchte die Vorstellungen der Hofoper und des Burgtheaters, allseits bewundert ob ihrer blonden Schönheit, ihres gleißenden Schmucks und ihrer Eleganz, für die Brigitte als Mutter verantwortlich zeichnete.
An diesem trüben Herbsttag hatte sie den schnellen, kleinen Sportwagen ihrer Mutter ausgeliehen und war mit ihm zu einer Freundin gefahren. Sie hatten Kaffee getrunken, die so ungeheuer wichtigen Jungmädchengespräche geführt, Pläne für den kommenden Sonntag geschmiedet und auf einem Plattenspieler die neuesten Aufnahmen der Jazzkönige angehört. Dann war Regina Teschendorff fröhlich wie immer abgefahren, mit dem rasanten Temperament ihrer Mutter, die langen blonden Haare im Zugwind flatternd, daß es aussah, als wehe eine goldgelbe Fahne aus dem offenen Wagen.
Kurz vor Schloß Hainaue macht die Landstraße eine leichte Kurve. Hundertmal waren Brigitte und auch Regina diese Kurve gefahren – zahm bei regnerischem Wetter, wild bei Sonnenschein und wagemutig schneidend, wenn die Straße, die man durch die Alleebäume gut übersehen konnte, frei war.
An diesem Abend fuhr Regina sittsam und nicht sehr schnell. Aber sie fuhr mechanisch. Sie dachte an den kommenden Sonntag, an Hans Pertritz, der ein so schickes Segelboot hatte, an Claudia, die Freundin, die sich mit achtzehn Jahren schon verloben wollte – sie dachte an alles, nur nicht an Autofahren und an die Kurve, in die sie gleich hineinfahren mußte.
Kurz vor dem Baum erwachte sie aus ihren Gedanken.
Sie sah den dicken Stamm rasend schnell auf sich zukommen, sie sah das Band der Straße seitlich wegschnellen – mit beiden Händen riß sie das Steuer herum, zurück auf die Straße, weg von dem Baum, der riesenhaft vor ihr aufwuchs.
Fast gleichzeitig mit dem Schleudern des Wagens stieß sie sich vom Sitz ab und warf sich über die niedrige Tür jenseits der Fahrtrichtung aus dem Auto. Sie landete neben dem Baum auf dem harten Rasenstreifen, ehe der Wagen mit dem Heckteil gegen den Baum prallte, herumgeworfen wurde und aufheulend zerbrach. Die Trümmer wirbelten durch die Luft.
Regina spürte den Aufprall kaum. Sie sah überklar den am Baum zerfetzten Wagen, sah das Heckteil durch die Luft wirbeln und auf sie zukommen. Instinktmäßig kroch sie von der Straße weg in den Straßengraben. Aber der weggerissene Teil des Wagens war schneller. Er fiel über das kriechende Mädchen, drückte es auf das Gras und begrub es. Ein heißer, den ganzen Körper wie ein Stromstoß durchjagender Schmerz zerriß Reginas Gehirn – ein Schmerz im linken Bein, der sich in einem wilden Zucken des ganzen
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