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Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Titel: Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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dem lästigen Zwang strenger Erzieherinnen befreit, empfand ich diese liebliche Stadt, an dem breiten Strom gelegen, als Paradies. Wie schön war doch der Sonntagmorgen, wenn man nach den herrlichen Kirchengesängen, an denen der Chor und die großen Solisten der Oper mitwirkten, in der Bildergalerie sich träumerisch in einem Farbenrausch verlor, wenn die dunklen Augen der Sixtinischen Madonna mit warmem Feuer über die blauen und roten Draperien hinweg uns anblickten und man das Flügelschlagen unsichtbarer Engelscharen zu vernehmen meinte. Trat man dann wieder hinaus, umweht von sanften Frühlingslüften, so standen die schönen Türme der Kirche und Paläste gegen den blauen Himmel. Weiße fahrende Wolken erhöhten und steigerten den Ausdruck der Gebäude, die ein kühner und schönheitsbesessener Geist erdacht hatte. Gleich den Bauten waren auch die Feste Augusts des Starken, wie sein Biograph Ludwig Gurlitt sagt, nicht von ihm nur befohlene, sondern von ihm durchgeführteKunstwerke. Und etwas von seinem Wesen lebte noch in der Stadt. Man spürte hier mehr spielerische Verführung als um Friedrich den Großen, der sicherlich nie wie August neben dem Wagen einer als Göttin Diana verkleideten Favoritin hergeschritten wäre. Diese kapriziöse Nachgiebigkeit der Lebensfreude gegenüber, zugleich aber die blutvolle und schmerzliche Intensität, die in ewig gültige Formen eingegangen war, – sie schienen mir nicht gestorben, mochte auch der Bürger besonders streng und gewissenhaft sein Alltagsleben führen und die Sparsamkeit über alles stellen.

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Sonnabend, 17. Februar 1945
    Berlin/Reichskanzlei Dr. Theodor Morell 1886–1948
    14.05 Uhr mittags: Strophantose I und Benerva fortiss. i.v. – (25 mg). Es seien keine Beschwerden irgendwelcher Art vorhanden außer dem Zittern, das – wie ich nachts beim Tee bemerkte, bis in die linke Hand stark vorhanden war. Gelegentlich der Unterhaltung wurde der Wunsch geäußert, daß ich einige (eventuell drei) Strophantinspritzen machen solle, die früher einmal ein ganzes Jahr vorgehalten hatten. Auf Ekg, das ich schon vor einer Woche machen wollte, wurde hingewiesen. Seit 4–5 Tagen ist der Patient äußerst nachdenklich und macht einen müden, unausgeschlafenen Eindruck (leichte Konjunktivitis, besonders rechts, Behandlung derselben wird abgelehnt). Führer will versuchen, ohne Beruhigungsmittel auszukommen, selbst Luminaletten werden noch nicht genommen.
     
    Berlin Adolf Hitler 1889–1945
    Politisches Testament
    Wir Deutsche dürfen nie vergessen, daß es in schwierigen Lagen für uns immer besser ist, allein zu stehen. Wir haben alles zu verlieren, aber nichts zu gewinnen. Wenn wir uns an Schwächlinge binden und uns etwa Bundesgenossen aussuchen, die bereits früher Proben ihres Wankelmutes geliefert haben. Ich habe oft den Ausspruch getan, daß auf der Seite, wo Italien steht,sich der Sieg einstelle. Ich hätte besser sagen müssen, daß dort, wo der Sieg ist, sich auch Italien einstelle!
     
    Eberswalde Helfried Fischer *1921
    Eines Tages wurde neben unserer Gaststätte eine Gerichtsverhandlung abgehalten, und ich durfte als Zuhörer dabei sein. Ein Offizier im Range eines Majors, er sei Richter, führte die Verhandlung, und so ein Schmalspurleutnant saß mit dabei. Es wurde ein Unteroffizier angeklagt: er hatte die Post für ein Lazarett geholt und dabei vieles unterschlagen. Da lagen Bilder, die in Briefen aus der Heimat gekommen waren, auch Auszeichnungen, die für Verwundete bestimmt waren, einige davon hatte er selbst getragen. Päckchen, die aus der Heimat kamen, hatte er geöffnet und mit einer Freundin den Inhalt verbraucht! Da wurde der Richter wild, es seien für manchen Kameraden die letzten Bilder oder Lebenszeichen aus der Heimat gewesen, was er sich dabei gedacht habe? Ihm machte das nichts aus, und der Richter gab ihm die Todesstrafe!
     
    Berlin/Propagandaministerium Dr. Rudolf Semler *1913
    Bei der heutigen Besprechung mit den Bereichsleitern deutete Goebbels an – nach der beispiellosen Katastrophe in Dresden –, daß er dem Führer die Aufkündigung der Genfer Konvention durch Deutschland vorschlagen werde. Er sagte, diese Konvention hätte jede Bedeutung verloren, wenn feindliche Piloten innerhalb von zwei Stunden 100 000 nicht kriegführende Zivilisten töten können. Die Konvention mache uns hilflos, weil sie jede Vergeltung an feindlichenFlugzeugbesatzungen verbietet, während sie ihnen den bestmöglichen Schutz für

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