Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
er grüßen sollte. Er wechselte nur die Hand. Es war vor einem halben Jahr, als Wolfberg mit dem großen Transport von Auschwitz kam. Der Vater erzählte mir, daß er den Jungen mitgeschmuggelt hatte und daß er ihn immer versteckt habe, wenn die Razzien kamen. Wo mag dieser Vater jetzt sein? Und wie mag es dem armen kleinen Jungen gehen? Ich werde ihn bei erster bester Gelegenheit besuchen und mit ihm sprechen, vielleicht kann ich ihm ein klein wenig Trost oder Freude geben. Ich werde jedenfalls ein paar Stücke Zucker mitnehmen. Das ist leider alles, was wir jetzt noch haben.
Wolfberg wurde gestern in einen anderen Block geführt. Wahrscheinlich Nr. 58, so erzählte mir jemand, der gesehen hat, wie er mit zwei »Luftschutzleuten« an unserem Block vorbeiging. Er war allein. Das könnte bedeuten, daß alle anderen Juden vernichtet werden sollen und daß er auf diese Weise in Sicherheit gebracht wird. Er ist ja Norweger auf der Tuberkulose-Abteilung, die ziemlich hoffnungslos krank sind, bleiben in Frieden. Dafür können sie sich wohl bei Sven Oftedal bedanken. Aber ein Jude, der nicht einmal Uhrmacher ist? Ich weiß nicht, wie ich erfahren soll, wie es ihm geht. Block 58 ist immer noch ein streng verbotenes Gebiet. Der furchtbare Schläger Ernst ist dort Blockältester und sein Waffenbruder Filip Stubenältester. Filip ist ein norwegischer Junge, den ich vom Nordnorwegen-Transport her kenne, woer faul, schwierig und bockig, aber nicht böse war. Jetzt ist er Handlanger der Büttel. Der arme Filip! Seine Glanzzeit wird kurz sein. Bald sieht es auch für ihn dunkel aus, trotz der langen Gefangenschaft und allem, was sie herbeiführte. Filips Schicksal ist tragisch und bezeichnend dafür, was aus einem ungefestigten, charakterschwachen Jungen in dieser höllischen Umgebung werden kann. Es gibt auch gewisse andere Norweger, die mit einem grünen Winkel ausgestattet sein sollten. Alle tragen den roten, alle sind politische Gefangene, »achtbare« Vaterlandskämpfer. Doch, hier kann man eine wunderbare Auslese von »Vaterlandsfreunden« zusammenstellen, mit denen in irgendeiner Weise klassifiziert zu werden wir uns wohl bedanken würden. Das wird auch ein Nachkriegsproblem werden, was wir mit diesen Lumpen machen sollen, die sich hinter roten Winkeln verstecken. Zwei von ihnen, denen es wahrscheinlich zu heiß wurde in ihrem Block, haben sich als Partisanenkämpfer zum Kriegsdienst gemeldet, zusammen mit den deutschen Grüngewinkelten.
Ach Gott im Himmel, wie ist dies entsetzlich! Ringsum wird geraubt, gestohlen, geplündert und gemordet, die Kanonen und Bomben dröhnen, und die Teufel triumphieren. Ob dies nicht doch der Untergang selbst ist? Wie hatte man sich ihn sonst vorgestellt? Es ist wohl so, daß wir immer nur davon gesprochen haben. Uns fehlte die Phantasie, um uns vorzustellen, wie er sich gestalten würde. Jetzt ist er da. Wir sind mitten drin und merken es nicht, weil wir es nicht fassen können. Wir werden. Wir werden es vielleicht erst verstehen, wenn es zu spät ist.
Kamakura/Japan Der Adjutant Heinz Priesmeier
Heute wurde der 1. Trägerangriff auf Japan gestartet. Seit 7.00 Uhr geht das mit nur kurzen Unterbrechungen. Jetzt 16.30 Uhr ist noch kein Ende. Nun tritt auch hier der Krieg in ein gefährliches Stadium. Daß die Amerikaner sich in die Nähe des Mutterlandes Japan wagen, will viel heißen. Zeigt aber auch die Schwäche der japanischen Luftabwehr.
Pacific Palisades Thomas Mann 1875–1955
Vormittags neue deutsche Ansprache zu schreiben begonnen. Gegangen. Amalfi Drive und mit K. und Heinrich zurückgefahren, der mit uns Lunch und Thee hatte. Nach seinem Weggang die Message zu Ende geschrieben. Es ist das nicht schwerer als ein Brief... – Bombardement Tokyos durch Carrier Planes; erregt große Begeisterung im Lande. Japan ist gewiß bald verloren, wenn man in Europa fertig ist.
Bologna Der britische Captain B. R. Cowles
Heute gab es große Neuigkeiten vom Pazifik. Es erfolgte ein US-Angriff mit 1500 Maschinen von Flugzeugträgern aus auf Tokio. Es läßt einen ahnen, wie groß die Trägerflotte ist und wie es die Japse erschüttert haben muß.
Roosevelt, Churchill und Stalin haben sich getroffen und haben ihre Friedenspläne bekanntgegeben. Sie beinhalten die Curzon-Linie für die Polen – über die sich die Polen beklagen – und gemeinsame Besetzung Deutschlands durch die drei Mächte in getrennten Zonen. Der Krieg kann bei dem augenblicklichen Tempo des Vorrückens nicht
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