Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
Elbestadt und hat am Wochenende überraschend Besuch von Mitschülern bekommen. Jetzt geht man gemeinsam durch die Stadt und frischt Erinnerungen auf – auch die guten.
Allabendlich drückt sich eine Menschenmenge durch die Altstadt. Man geht vorbei am Altmarkt, wo damals ein paar Tage nach der Zerstörung 7000 Leichen verbrannt wurden, vorbei an der Ruine der Frauenkirche und an der Schloßbaustelle. Viele haben Kerzen dabei – so wie damals zu DDR-Zeiten jedes Jahr am 13. Februar. Große Plakatwände zeigen Schwarzweißaufnahmen aus dem intakten Dresden der dreißiger Jahre und aus der bitteren Zeit nach der Bombardierung. An der Brühlschen Terrasse hängt ein riesiges Wandgemälde. Es zeigt zwei Kerzen. Parolen fehlen – viele Dresdener hassen Parolen, denn die SED hatte ihnen davon mehr als genug geboten. Die Plakate finden aufmerksameBeobachter, vor allem Kinder. Und die Eltern müssen erklären, was damals geschehen ist.
Doch der Jahrestag gerät auch zu einer eigentümlichen, für manche Zeitzeugen abschreckenden Widersprüchlichkeit. Einerseits trauern die Angehörigen, und beinahe jede Dresdener Familie hat Opfer zu beklagen. Andererseits präsentiert sich die vor fünfzig Jahren so schwer geschundene Stadt heute stolzer und optimistischer als je zuvor. In der Nacht zum Montag hörten mehr als 10 000 Menschen vor der Ruine der Frauenkirche einer Rundfunkübertragung zu – ein Glockenkonzert mit Beiträgen aus 47 Dresdener Kirchen erklang. Eine große Menge zog von den Trümmern der Kirche bis zu den Nobelautos vor dem Luxushotel Hilton. Einige Dresdener lauschten andächtig, andere lächelten und scherzten, manche klatschten Beifall. Nach dem Ende der Übertragung bildeten sich vor dem vor kurzem eröffneten, prunkvollen Taschenbergpalais neben dem Schloß lange Schlangen von Neugierigen.
Die unverkennbaren Symbole des sächsischen Aufschwungs machen wohl auch die Versöhnungsappelle leichter. Einige Dresdener blicken zwar grimmig, als der Herzog von Kent, Cousin der Queen, auf dem Heidefriedhof einen Kranz niederlegt – an fünfter Stelle nach deutschen Politikern und vor den Vertretern der USA. Doch Radikale von links und rechts spielen in diesen Tagen in der Stadt nicht einmal eine Nebenrolle. Ein paar Autonome hatten vergebens versucht, einen Gottesdienst zu stören, der schwarzweiß-rote Kranz einer rechtsextremen Vereinigung fällt am Gedenkstein unter den übrigen Blumengesteckenkaum auf. Lediglich ein Radiosender versucht, die Stimmung anzuheizen, indem er Zuschauermeinungen zur Ansicht eines britischen Historikers einholt. Jener hatte gesagt, der Angriff auf Dresden sei eine richtige Strafe für ein Volk gewesen, das Hitler gewählt hat.
»Engländer sollten in Dresden Stadtverbot haben«, erzürnt sich daraufhin ein Anrufer.
Typischer sind da schon die Ansichten der offiziellen Vertreter bis hoch zu Bundespräsident Roman Herzog und Nick Nolan, Oberbürgermeister der von deutschen Bombern zerstörten Stadt Coventry in England. Sie strecken die Hand zur Versöhnung aus. Herzogs eindringliche Mahnung, die Toten nicht gegeneinander aufzurechnen und die »Ziffernsprache des Ungeheuerlichen« zu unterlassen, findet beim Festakt im Kulturpalast den Applaus vieler Dresdener – obwohl sich die Veranstalter zuvor jede Beifallsbekundung verbeten hatten. Wie Herzog denkt auch der 69jährige Dresdener Lothar Wagner. Er hat Bilder seiner Angehörigen auf Pappe geklebt und »Dresden mahnt« daneben geschrieben. Mit diesem Bild vor der Brust stellt er sich so hin, daß die englischen und amerikanischen Gesandten ihn auf dem Heidefriedhof nicht übersehen können. Seine Familie habe damals auf die Rückkehr des 19jährigen Sohns gewartet. Alle sind beim Bombenangriff umgekommen. »Ich will heute auffordern: Seid friedlich, verständigt euch und hört auf, die Toten gegeneinander aufzurechnen.«
Helene von Nostitz 1878–1944
Die Stadt August des Starken
Nie werde ich die Frühlingstage vergessen, die ich in jungen Jahren mit meiner Mutter in Dresden im Hotel Bellevue verbrachte. Wie ein schönes altes Palais stand dieser Bau am Ufer der Elbe gegenüber von Oper, Gemäldegalerie und katholischer Kirche, auf der in immer gesteigerter Ekstase Heilige und Engel mit wehenden Gewändern den Himmel zu stürmen schienen. Wenn ich aus der Tür trat, umflatterten mich Tauben, wie auf dem Markusplatz in Venedig. Die Sehnsucht nach weicheren, südlicheren Gegenden wurde hier in mir wach. Für einige Tage von
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