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Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Titel: Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Vormarsch der sowjetischen Truppen im Raum Görlitz aufhalten. Der Transport wurde umgeleitet, da englisch-amerikanische Bomber in der Nacht vom 13. – Fasching – zum 14. Februar, wie es hieß, Dresden angegriffen hatten. In Bautzen erreichte mich bei einem Halt des Transportes die Nachricht, daß meine beiden Schwestern, Ruth 15jährig, Sophia 19jährig, verbrannt waren. Auf der Flucht von Bautzen nach Süddeutschland hatten sie eine Nacht Station in unserer alten Wohnung in der Walpurgisstr. 13 mitten in der Altstadt gemacht. Diese Nacht wurde zur Nacht des Todes und des Unterganges des alten Dresden. Am 21. Februar fuhr ich mit meinem Vater, der ebenfalls Urlaub von der Ostfront erhalten hatte, auf dem Dach eines Lieferwagens nach Dresden. Noch stand eine Rauchsäule über der Mitte der Stadt. Brannte sie noch 7 Tage nach dem Angriff? Auf dem Weißen Hirsch fanden wir bei Freunden Unterkunft. Am Morgen wanderten wir zu den Elbwiesen und über eine noch begehbare Brücke in die Altstadt. Sie war zerstört. Ein einziges riesiges Trümmerfeld bedeckte die Leichen in den Kellern und die zahllosen Flüchtlinge auf den Straßen, die aus den Ostgebieten fliehend über Dresden die Rettung weiter im Westen und Süden Deutschlands suchten.
     
    Dresden Ernst Heinrich Prinz von Sachsen 1 896–1971
    Am 17. Februar, also drei Tage nach dem Angriff, entschloß ich mich, in die Stadt vorzudringen, um das Drama anzuschauen und nach meiner Verwaltung und unserem städtischen Besitz zu sehen. Ich wußte nicht, ob meine Beamten und Angestellten den Angriff überlebt hatten und etwas von den wertvollen Beständen, die in der Parkstraße eingelagert waren, erhalten geblieben war.
    Bis zum Stadtrand war der Anblick unverändert. Auch der erste Vorort Trachau wies bis zur halben Strecke keine Schäden auf. Dann sah man einzelne getroffene Häuser. Die Zerstörungen wurden immer größer, je näher ich zum Neustädter Bahnhof kam, der sehr mitgenommen war. In Trachau hatte man noch Menschen auf der Straße gesehen, hier sah man kaum jemand. Durch noch rauchende Trümmer führte mich der Weg zur Carola-Brücke, der einzigen passierbaren Elbbrücke. Dann zur Ausstellung. Dort bot sich ein schauriges Bild. In und um eine zerstörte Litfaßsäule lagen etwa dreißig nackte, in der Hitze geschrumpfte Leichen. Diese Menschen wollten dem Feuersturm entrinnen und suchten Schutz in der Litfaßsäule. Am Großen Garten entlang fahrend, sah ich Leichen und zersplitterte Laubbäume auf den Wegen und Anlagen, dazwischen ein Zebra und eine Antilope, die nach Futter suchten. Sie waren dem nahen Zoologischen Garten entronnen. Vom Neustädter Bahnhof bis zur Parkstraße kaum ein Mensch, nur zusammengestürzte Häuser und qualmende Ruinen. Eine fürchterliche, beängstigende Öde hatte sich ausgebreitet.
    Das Palais an der Parkstraße, der Sitz meiner Verwaltung, war ein Steinhaufen – aber ich traf dort meinen Bürovorstand und zwei meiner Angestellten an. Gottlob hatten sie den Angriff überstanden. Die im Palais eingelagerten Bestände waren alle ohne Ausnahme zerstört, wir erlitten sehr schwere ideelle und materielle Verluste. Wir hatten alle wertvollen Handschriften und Inkunabeln, einen Teil des Hofsilbers, unser Hausarchiv und den größten Teil der Verwaltungsakten verloren. Die mittelalterlichen Handschriften und Frühdrucke hatten wir wenige Tage vor dem Angriff in den sehr guten Keller des Palais verlagert; alle Sachverständigen waren der Meinung, daß sie dort absolut sicher seien. Tatsächlich hielt der Keller stand, aber ausgerechnet über der Kellerkammer, in der sich die Bücher befanden, entstand ein Riß, durch den eine Stabbrandbombe in den Raum fiel und alles in Brand setzte. An einem Mauerrest in etwa fünf Meter Höhe hing der Stahlschrank der Verwaltung mit Bargeldbeständen, einigen Wertgegenständen und am allerwichtigsten von allem, der Krone des Heiligen Ludwig von Frankreich. Wie mochte dieses Kleinod jetzt aussehen, nachdem der Stahlschrank so lange in der glühenden Hitze gestanden hatte? War es erhalten, beschädigt, geschmolzen? Wer konnte das wissen? Ich nahm mir vor, alles zu versuchen, um den Safe zu bergen und zu öffnen.
    Dann nahm ich den Weg in das Stadtinnere, vor allem, um zu sehen, wie es um die Hofkirche und unsere Familiengruft bestellt war. Ich ging die Bürgerwiese stadteinwärts, auch hier waren die Anlagen und Bäume verwüstet und von einem schwarzen Ascheregenbedeckt, die Häuser niedergebrannt;

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