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Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Titel: Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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über allem schwebte ein Dunst von Verbranntem. Ich begegnete Polizisten, die mit russischen Kriegsgefangenen Leichen einsammelten und sie zum Altmarkt brachten, wo sie in großen Stößen verbrannt wurden. Erst hatte man versucht, die Leichen in Massengräbern in der Jungen Heide zu beerdigen. Das erwies sich jedoch als viel zu langsam in Anbetracht der ungeheuren Zahl der Toten. Ein Wachtmeister sagte mir, daß die Polizei am 16. Februar allein zwischen dem Bismarckdenkmal und der Kreuzschule auf dem Ring 800 Tote aufgesammelt hätte. Meist waren diese Menschen dem Feuersturm zum Opfer gefallen, als sie fliehen wollten. Noch viel erschreckender und bedrückender war aber die Tatsache, daß in Hunderten und aber Hunderten von Luftschutzkellern noch Menschen lebten und dort langsam zugrundegingen. Wo war anzufangen, um nach Opfern zu forschen bei Tausenden von zusammengestürzten Häusern? Und es war eine sehr schwierige und langwierige Arbeit, die Trümmer wegzuräumen, um in die Keller vorzudringen.
    Besonders erschütternd war der Fall des Restaurants »Trompeter-Schlößchen«, das in der Altstadt lag. Als der Alarm am 13. erfolgte, war das Restaurant voll in Betrieb. Gäste und Belegschaft gingen in den Luftschutzkeller. Da erhielt das Gebäude zwei Volltreffer, stürzte in sich zusammen und verschüttete die beiden Eingänge zum Keller. Um den 17. fing man an, die Trümmer wegzuräumen, weil man festgestellt hatte, daß zahlreiche Besucher sich im Keller befinden mußten. Als endlich die Eingänge freigelegt waren, bot sich ein schreckliches Bild. Die anwesenden Wehrmachtsangehörigenhatten erst die Gäste und dann sich selbst erschossen.
    Ich ging weiter durch die Moritzstraße – überall die gleichen schwelenden Trümmer und entstellten Leichen. Der Neumarkt ein einziges Bild des Jammers: das zerstörte alte Dresden. Die Frauenkirche mit ihrer großartigen dunklen Kuppel, die jedem Dresdner ans Herz gewachsen ist, war verschwunden. Nur ein kleines Stück Mauer war übriggeblieben, davor lag das Lutherdenkmal. Die Dresdner waren immer stolz darauf gewesen, daß bei der Belagerung von Dresden die preußischen Kanonenkugeln an der Kuppel der Frauenkirche abgeprallt waren – jetzt hatten zwei schwere englische Bomben die ganze Kirche zerstört. In Trümmern lag das schöne Cosel-Palais, die so überaus malerische Rampische Gasse, das alte Hotel Stadt Rom und der Jüdenhof. Die schmalen Gassen der Altstadt waren zerstört, mit ihren unersetzlichen alten Häusern wie das barocke Dinglinger Haus. In Trümmern lag alles, was ich so sehr geliebt hatte.
    Gottlob stand die katholische Hofkirche von Chiaveri. Sie hatte einen schweren Treffer an der Theaterplatzseite, sechs Heilige waren zerstört. Der alte Dachstuhl, ein Gewirr von Balken aus dem 18. Jahrhundert, war in Brand geraten und in das Hauptschiff gefallen. Die beiden Seitenschiffe und die Eckkapellen aber waren völlig erhalten. Ich betrat diese wunderbare Kirche, mit der mich von Jugend an so viele ernste, aber auch schöne Erinnerungen verbanden. Unsere Familiengruft war unversehrt. Seit 1750 wurden meine Ahnen dort beigesetzt. Der Gedanke, die Gruft wäre dem Angriff zum Opfer gefallen, warfurchtbar. Hier wurden mein Vater, mein ältester Bruder und meine Frau bestattet. In diesem Gotteshaus erlebte ich viele religiös erhebende Stunden und auch herrliche, unvergeßliche musikalische Eindrücke. Hier dirigierten Carl Maria von Weber und Richard Wagner. Uraufgeführt wurde die Missa solemnis und das Te Deum von Johann Adolph Hasse, die sogenannte Jagdmesse von Schuster und die Messen von Weber. Im 18. Jahrhundert schon wurde die Krönungsmesse von Mozart aufgeführt. Das Erlebnis der Kirchenmusik in der Hofkirche ist von Dostojewski sehr eindrucksvoll geschildert worden. Der erste russische Stadtkommandant von Dresden hatte das gelesen – er setzte sich für den baldigen Wiederaufbau der Kirche ein und stellte Material zur Verfügung.
    Nach Verlassen der Hofkirche sah ich mir das Residenzschloß an, in dem ich von 1904 bis 1914 meine Jugend verbracht hatte. Der Anblick war erschütternd. Ausgebrannt und verstümmelt stand dieser so schöne deutsche Renaissancebau da. Und auch sonst, wohin ich blickte – nichts als Trümmer.
    Es war das letzte Mal, daß ich das Zentrum der Stadt sah, in der ich aufgewachsen war. Unendlich traurig und bedrückt wanderte ich zurück durch die hohlen Fassaden, durch diese grenzenlose Leere und Todesstille – zurück zu

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