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Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Titel: Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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einzelne Häuser. Als eines davon wenige Schritte vor uns in sich zusammenstürzte, natürlich mit ungemeiner Staubentwicklung, gaben wir den Versuch auf. Langsam, mit vielen Pausen, sehr erschöpft, gingen wir den gleichen Weg zurück, den wir gekommen. Dort flutete der gleiche Korso wie zuvor. Dann suchten wir noch am Platz vor der Zeughausstraße, ob sich dort jemand von den unsrigen finde. Die Zeughausstraße 3 war ein einziger Geröllhaufen, von der Zeughausstraße 1 stand, der Stadt zugekehrt, ein Vorderpfeiler mit einem Stückchen Mauer galgenartig daran hängend. Das ragte gespenstisch und gefährlich und verstärkte nur das Bild der absoluten Zerstörung. Wieder kein Mensch. Wir lagerten uns nun an der Außenmauer der Brühlterrasse, Schmalseite. Wir fanden dort Waldmanns und Witkowskys, dazu ein älteres Ehepaar Fleischner. Waldmann rühmte sich, einige vierzig Leute, Juden und Arier, aus der Zeughausstraße 1 gerettet zu haben,dort sei niemand umgekommen. Er wußte auch von irgendwoher, daß die Ménages Steinitz und Magnus heil seien – von allen andern wußte er nichts. Sehr merkwürdig berührte es mich, daß sich der ganz verlorene Witkowsky zäh und agil unter den Lebenden befand.
    Auf dem Platz vor uns hielt ein Sanitätsautomobil; Menschen umlagerten es, Bahren mit Verwundeten lagen in seiner Nähe am Boden. Auf einem Bänkchen beim Eingang des Autos machte ein Sanitäter Augeneintropfungen; mehr oder minder mitgenommene Augen waren überaus häufig. Ich kam rasch an die Reihe. »Nu, Vater, ich tu Ihnen nicht weh!« Mit der Kante eines Papierstückchens holte er einigen Unrat aus dem verletzten Auge, machte dann eine ätzende Eintropfung in beide Augen. Ich ging, ein wenig erleichtert, langsam zurück; nach wenigen Schritten hörte ich über mir das bösartig stärker werdende Summen eines rasch näher kommenden und herunterstoßenden Flugzeugs. Ich lief rasch auf die Mauer zu, es lagen schon mehr Menschen dort, warf mich zu Boden, den Kopf gegen die Mauer, das Gesicht in die Arme gelegt. Schon krachte es, und Kiesgeröll rieselte auf mich herab. Ich lag noch eine Weile, ich dachte: »Nur jetzt nicht noch nachträglich krepieren!« Es gab noch einige entferntere Einschläge, dann wurde es still.
    Ich stand auf, da war Eva inzwischen verschwunden. Fleischners hatten sie eben noch gesehen, ein Unheil hatte sich hier nicht ereignet: So war ich nicht sonderlich besorgt. Immerhin dauerte es wohl zwei Stunden, bis wir uns wieder trafen. Eva hatte beim ersten Bombenabwurf wie ich an der Mauer in Deckung gelegen,nachher einen Keller an der Elbe aufgesucht. Ich suchte sie längs der Mauer, dann mit Waldmann zusammen im Albertinum, ich hinterließ an der Mauer sozusagen meine Adresse einem neu aufgetauchten Graukopf, mit dem ich Waldmann in behaglichem Gespräch gefunden. »Leuschners Schwager.« – »Er muß doch wissen, daß Sie und ich einen Stern getragen haben.« – »Das ist doch jetzt ganz egal! Alle Listen sind vernichtet, die Gestapo hat anderes zu tun, und in vierzehn Tagen ist sowieso alles zu Ende!« Das war Waldmanns in den nächsten Tagen ständig wiederholte Überzeugung, Löwenstamm und Witkowsky urteilten ebenso. Der Schwager Leuschner jedenfalls blieb harmlos, ich plauderte in der Nacht noch wiederholt mit ihm, und am nächsten Morgen reichten wir uns die Hand zum Abschied.
    Irgendwie also hat sich Eva nach einiger Zeit in dem ihr schon von früher und vom Beginn der Schreckensnacht her bekannten Albertinumkeller eingefunden. Das große Gebäude hatte in seinen oberen Stockwerken gebrannt; das weiß ich aber nur aus Evas Bericht. Denn oben thronte unversehrt die gußeiserne Queen, und der festen Kellerflucht, wahren Katakomben, zu denen von der Toreinfahrt aus eine breite Treppe führte, merkte man nichts an. Die hohen, zahlreichen elektrisch erleuchteten Räume waren sehr voll. Es war schwer, auf den Bänken einen Sitzplatz zu finden. Auf dem Fußboden lagen auf Bahren oder Decken oder Betten Schwerverwundete, einige Räume waren ganz als Lazarett eingerichtet, nur von Liegenden angefüllt. Soldaten und Sanitäter gingen und kamen, neue Bahren wurden hereingetragen. Dort, wo ich Platz fand,etwa im mittleren Raum, lag am Boden ein furchtbar röchelnder Soldat, ein starker Kerl mit mächtigen Beinen und Füßen. Jeder Vorbeigehende stolperte über seine Stiefel, der Mann in seiner tiefen Bewußtlosigkeit merkte nichts mehr. Dicht neben ihm unter Betten lagen zwei Frauen, die ich lange für

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