Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
Dachfenster hinaus. Da zeigte es sich, daß einige Brandbomben sich festgeklemmt und gezündet hatten. Die Männer hackten die Ziegel auf, es war aber schon zu spät. Das Feuer hatte sich in den Balken schon festgefressen und brannte weiter. Alle schleppten Wasser und Sand, wir konnten aber überhaupt nicht heran. Schließlich merkten wir, daß wir des Feuers nicht Herr werden würden, und ich ließ hinuntersagen: Jeder rette, was er kann! Ich blieb mit einem Berliner Herrn oben und wir versuchten noch einmal, das Feuer aufzuhalten. Vergebens. Schließlich ging ich hinunter, da fand ich Maria nicht. Eisewigs waren fort, Frau Kretzschmer war mit ihren Kindern auch fort. Unser Keller stand offen, die große grüne Tasche, in der alle Ausweise und Wertpapiere steckten, war weg – das bedeutete für mich einen Hoffnungsstrahl. Vielleicht hatte Maria sich jemandem angeschlossen. Aber sicher war das nicht, denn es waren ja auch so sehr viele fremde Menschen mit im Keller gewesen, die bei nachlassender Gefahr sofort weggelaufen waren, jeder wollte ja bei sich daheim etwas retten. Die beiden Omas waren auch fort. Jemand hatte sie in Richtung Schlachthof laufen sehen (später erfuhren wir, daß sie ein Sebnitzer Auto gefunden hatten, das sie mitnahm. So entkamen sie dem Grauen und landeten bei Hilde Pilz). Von Maria keine Spur, nicht in der Wohnung, nicht auf dem Friedhof, wohin viele Menschen sich gerettet hatten. Wir riefen überall nach ihr. Schließlich suchte ich nochmal auf dem schon ganz verräucherten Dachboden – ich hatte mein Kind zuletzt Wasser hinauf schleppen sehen – nichts. Von Anstrengung und Aufregung war ich beinaheapathisch und schickte manchen heimlichen Stoßseufzer zum Himmel. Ich war ja nun ganz allein – ob Vati dieses Grausen überstanden hatte, ob Maria durch die brennenden Straßen sich hatte retten können? Aber ich rappelte mich auf und fing an zu wuchten, anders kann man es nicht bezeichnen. Unser Haus würde abbrennen, das sah man. Ob aber der Keller durch die schweren Massen nicht unzugänglich werden würde? Deshalb räumten wir zuerst alles Wichtigste dort heraus. Und das waren zumeist schwere Gegenstände. Als ich dann so allein in der Wohnung stand, wußte ich kaum, wo anfangen. Das Wichtigste für den »Wiederanfang«, sagte ich mir aber doch. Und so nahm ich die Daunendecken und aus der Jungen Stube die Betten und Auflagematratzen und warf alles zum Fenster hinaus. Alle andern Betten und Unterbetten (acht bis zehn Stück) verbrannten. Der Gedanke »nur das Wichtigste für den Anfang« muß wohl direkt zur fixen Idee geworden sein, denn ich sehe mich noch vor dem Buffet stehen, förmlich abschiednehmend, und nahm nur wenige Bestecke heraus anstatt die ganzen Kästen mit Silber und Tischwäsche anzupacken. Die zwei leichten Sessel schleppte ich vor die Flurtür und packte sie voll mit Kleinigkeiten, die mir lieb und nötig waren. Einer davon mit Stehlampe usw. ist dann dort verbrannt. Über die schöne Tischdecke, die Vati mir zum Geburtstag geschenkt hatte, strich ich noch einmal – so dumm, sie nicht mitzunehmen! Marias Puhz saß auf dem Sofa und guckte mich richtig traurig an. »Komm, alter Kerl, du sollst nicht verbrennen!« Ich suchte nun noch allerlei Eßbares zusammen, verstaute es in den Brotkapseln, nahm von
Tellern, Schüsseln, Töpfen, was man für einen Kleinsthaushalt benötigt. Inzwischen war es 1/2 4 Uhr geworden. Nun wählte ich noch für jedes das wichtigste »Handwerkszeug« aus. Für Vati die Schreibmaschine, für mich die Nähmaschine, für Maria die zwei Geigen und ein Rollschränkchen mit Noten. Plötzlich erschien der Mann unserer Hausgehilfin mit noch zwei Soldaten. Sie hatten die ganze Zeit im Krankenhaus geholfen, und nun kamen sie, um mir noch eine halbe Stunde zu helfen. Ich überließ ihnen dankbar, was sie mir hinuntertragen wollten. Sie schleppten hinunter mein Sofa, 2 Sessel, 7Stühle, die Herrenkommode. Ich hätte gern selbst noch mehr geholfen, aber Willi S. erlaubte nicht mehr, daß ich nochmals in die Küche ging, weil schon Brandteile durch den Lichtschacht fielen und das Kabuff (Abstellraum) mit den vielen leicht brennbaren Sachen sehr gefährdet war.
Auch von außen konnten wir uns kaum noch ins Haus wagen, weil jeden Augenblick die Mansarden herunterstürzen konnten. Ursel Schließer hatte fast einen Nervenzusammenbruch, als sie noch einmal in Gotthards Zimmer ging. Sie schaute sich die Bilder an, die sie vor einem Jahr mit ihm aufgehängt
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