Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
tot hielt. Später begann die eine zu stöhnen und bat mich einmal, ihr die Decke fester an den Rücken zu stopfen. In einer Ecke des Raums stand auf niedriger Estrade eine Dynamomaschine, großes Schwungrad mit Handhebel. Als Eva kam, streckte sie sich auf dieser Estrade lang aus und schlief viel. Ich selber wanderte viel herum, plauderte, kauerte mich zwischendurch auf ein Bänkchen und schlief. Ich war nach der Katastrophennacht und nach dem reichlichen Gepäckmarsch des Vormittags so abgespannt, daß ich gar kein Zeitgefühl mehr hatte.
Der dritte Angriff 12.17–12.30 Uhr
Dresden Der Luftschutzpolizist Alfred Birke
Das Tageslicht ist allerdings getrübt durch schwarze und schwarzgraue Rauchwolken, die hoch in den Himmel wachsen. Sogar die Sonne scheint bläßlich, aber sie trägt einen grauen Schleier, den Trauerschleier des Dresdner Aschermittwochs. Mein Bemühen, die Dienststelle zu unterrichten, ist aussichtslos. Und so fahre ich die unterwegs aufgelesenen Opfer dieser Katastrophe in meine Wohnung. Während sich meine Frau und meine Tochter um die Unglücklichen bemühen, falle ich aufs Bett. Aber um die Mittagsstunde werde ich wachgerüttelt. Der nächste Angriff beginnt.
Dresden Die Komponistin Aleida Montijn *1908
» So arm war ich noch nie« wie auf der Flucht. Warum ich so arm war wie noch nie – das ist mit wenigen Worten zu sagen: Ich besaß keinen Pfennig Geld, nur einen Rucksack, etwas Eßbares, Hindemiths »Mathies der Maler« in einer Taschenpartitur, das »Wohltemperierte Klavier« von Bach und meinen Wintermantel. Mit was für einem Gefühl lebt man in solch einer Situation? Ja, seltsam, ich war stolz, wenn ich anderen Menschen helfen konnte: einen Wellensittich einfangen, der umherflatterte, in einem »Auffanglager« – Verwundete eines Tieffliegerangriffs verbinden, ohne in Ohnmacht zu fallen – zu helfen.
Man weiß gar nicht, was man alles aushalten kann, wenn es »Ernst« geworden ist, wenn Menschen sterben, wenn Kinder ohne Eltern in Auffanglagern zusammengepfercht sind – und wenn noch immer der Satan in Gestalt Adolf Hitlers und seiner Henker die Welt im Griff hält. Es hat zu lange gedauert – dieses »Tausendjährige Reich«.
Ohne es zu wollen und es so zu empfinden, übernahm ich in dieser Nacht die Führung und traf die notwendigen Entscheidungen. Die beiden Kinder meiner Freunde waren schon lange »ausgelagert«. Michael war bei seiner Großmutter in Thüringen und Toni war 30 Kilometer entfernt von Dresden in Kipsdorf in einem Kinderheim.
Dort wollten wir hin, Frau Martin und ich. Herr Martin mußte in Dresden bleiben, er war ja der Leiter des »Hochdruckprüffeldes«, wo ich gearbeitet hatte. Mein Entschluß, aus dieser brennenden Hölle so rasch wie möglich herauszukommen, war richtig. Man darfsich nicht vorstellen, daß man sich auf sein Fahrrad setzen und »in Richtung Westen« fahren konnte. Man mußte das Fahrrad tragen, hochheben über brennende Trümmerflächen – ganze Häuser rieselten mit dem grausigen Knistern vor einem herunter. Es ist kaum zu beschreiben – genauso wie es in der Nacht geklungen hatte – so war jetzt der optische Eindruck. Totale Zerstörung. Nach Stunden kamen wir an die Stelle, wo am Tag zuvor noch der Zwinger gestanden hatte. Durch die rußige Dunstglocke konnte man kaum etwas sehen, die Augen waren inzwischen entzündet, aber der Zwinger war nicht mehr da. Anstelle dieses Kunstwerks war ein zehn Meter hoher Steinhaufen – aus dem erkennbare Teile des ehemaligen Zwingers ragten.
Kein Mensch wagte sich hier weiter, aber ich schulterte mein Fahrrad und schleppte es ungefähr 5–6 Meter in das Geröll – dann übergab ich es Frau Martin – ging wieder zurück und holte ihr Fahrrad – und so haben wir nach 3 Stunden eine feste Straße erreicht und trafen auf andere Flüchtlinge.
Der Flüchtlingsstrom ging an einer Ausfallstraße hinter dem zerbombten Bahnhofsgelände entlang. Man war selbst so kaputt und apathisch, daß man nur wenige Eindrücke in sich aufnahm. Die Leute schoben Kinderwagen mit Kindern und zusätzlichem Gepäck. Die größeren Kinder schleppten Gepäckstücke, notdürftig zusammengeschnürtes Bettzeug und Dekken, viele alte Menschen trugen ihre Lieblinge in Vogelkäfigen mit ihren schwachen Kräften, Hunde an einem Stück Kordel zogen mit hängenden Ohren, immer noch zitternd und verstört, hinter den Leutenher, der Himmel war grau und dick verhangen mit Rußwolken. Es muß gegen 12 Uhr Mittags gewesen
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