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Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Titel: Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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nachdem wir uns im Garten an leicht verdrecktem »Fluchtkuchen« genährt hatten, mit vereinten Kräften ans Werk. Der erste Schritt zurück zur Zivilisation: Wir konnten unsere Sachen bei B.’s im Trocknen unterstellen. Den ganzen Tag über fuhren wir mit dem Handwagen an der noch immer brennenden Kirche vorbei nach der Friedrichstraße 56. Und doch konnten wir’s nicht ganz schaffen. Bei B.’s befand sich in der Einfahrt ein großer Sprengtrichter. Dieser sperrte unseren Weg so dumm, daß wir fast alles durchs Büro tragen mußten. Wievielmal zogen wir schwer beladen an Vatis Arbeitsplatz vorbei! Wir hatten am Abend jenes Tages nicht viel weniger hinter uns als ein gelernter Transportarbeiter. Aber wir durften uns waschen! Frau v. Bergander sorgte rührend für uns. Und dann schliefen wir, wenn auch wieder auf Holzbänken, so doch warm im sicheren Keller.
     
    Dresden Christian Just *1929
    Den ganzen Weg: Johann-Georgen-Allee, Albrechstraße, Bürgerwiese (die Straße an den Tennisplätzen entlang) lagen überall Tote, Tote, Tote; auch um die Steinreihen herum, wo wir während des 2. Angriffesgelegen hatten. Viele Tote waren durch explodierende Bomben scheußlich zugerichtet, manchen nur die Kleider vom Leib gerissen, mitunter die nackten Körperteile dunkel gerötet. Mitten auf dem Weg lag ein dunkler, formloser Haufen, obenauf etwas mit langen Haaren; daran allein war zu erkennen, daß dies eine tote Frau war. Mehr kann ich nicht beschreiben. Ich habe zwar hingesehen, mir aber die Bilder nicht eingeprägt. Mein Vater war jedenfalls nicht darunter.
    Auf der Bürgerwiese stand eine lange Reihe von Luftschutzfahrzeugen des SHD (Sicherheits- und Hilfdienst). Ich glaube, sie waren nach dem 1. Angriff von auswärts gekommen. Die Mannschaften – wenigstens ein großer Teil – lagen tot um die Fahrzeuge herum.
    Gleich uns war eine lange Prozession von Menschen unterwegs, die mit mehr oder weniger Gepäck die zerstörte Stadt verließen. Als wir in Strehlen zu unseren Bekannten kamen, erkannten sie uns zunächst nicht: »Wer sind Sie denn?« Wir sagten unseren Namen, und die Menschen erschraken. Wir mußten furchtbar ausgesehen haben. Die Leute machten warmes Wasser, damit wir uns waschen konnten, und gaben uns auch etwas zu essen. Mein Vater aber war nicht dort.
    So machten wir uns auf den Rückweg, auf den gleichen Straßen, die wir gekommen waren. Wir schauten wieder nach den Toten, aber meinen Vater sahen wir nicht... Dann beschlossen wir, uns auf den Weg nach der Heimat meiner Mutter zu machen, nach Schirgiswalde, einem kleinen Städtchen südlich Bautzen.
    Wir suchten einen Weg, der uns möglichst nur über breite Straßen führte: Johann-Georgen-Allee, Lennéstraße,Stübelplatz, Güntzstraße, Sachsenplatz (hier lagen auf der Straße ebenfalls Tote; Tote sah ich auch in einem zerstörten Straßenbahnwagen), Albertbrücke, von da auf der Neustädter Seite hinab zu den Elbwiesen. Etwa 250 m nach der Brücke, elbaufwärts, war eine Abteilung Soldaten mit Grabwerkzeugen angetreten. Plötzlich spritzten diese auseinander und warfen sich auf den Boden. Einer begann sogar, ein Schützenloch auszuheben. Da warfen auch wir uns nieder. Und schon begann es von neuem: Motorengedröhn, Fauchen stürzender Bomben, Explosionen. Die Einschläge schienen mir aber weiter weg zu sein... Irgendwann war auch das vorbei. Die Soldaten standen auf und wir gingen weiter. Die Elbwiesen entlang bis zum Waldschlößchen, dann den Schienen der Linie 11 folgend bis nach Bühlau... und dann nach Weißig. Dort warteten wir an einer Sperre der Feldgendarmerie, die alle Fahrzeuge anhielt, auf eine Fahrgelegenheit nach Bautzen. Endlich kam ein LKW mit einem Geschütz auf der Ladefläche und eines angehängt, der an die Front nach Lauban wollte und auf dem noch Platz für uns war. So verließen wir das zerstörte Dresden.
     
    Dresden Der Jurist Ottmann *1890
    1 1/2 Uhr, zweiter Vollalarm und neuer Angriff bis nach
    2 Uhr; Haus in Brand; eilige Flucht aus dem Flammenmeer; Fußmarsch; NSV-Wohlfahrtsstelle – Hindenburgstraße 84, Koffer von Dettmanns (= Mami hatte ihn versehentlich im Dunkeln aus dem Keller mitgenommen) abgestellt bei Köster, Dresden-Loschwitz, Schevenstraße 1 Koffer abgestellt; 5 Uhrkurze Rast, Fußmarsch bis Heidemühle, weiter nach Radeberg, weiter nach Ohorn.
     
    Dresden Giesela Neuhaus *1924
    Es war gegen Mittag des 14. Februar. Unheilverkündendes Dröhnen und Brausen in der Luft. Es kam näher und näher. Keine Sirene

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