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Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Titel: Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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hatte, und auch die Bücher in seinem Schrank. Aber nur den kleinen alten Wecker brachte sie mit, den Gotthard sich hergerichtet hatte, nachdem er bereits auf dem Schrott gelandet war. Dann standen wir alle unten in den Gärten und schauten dem schrecklichen Schauspiel zu, den ganzen Abend, die ganze Nacht, ich in den alten Pelzmantel gehüllt – so fühlte ich weder Nässe (es fing auf einmal an zu regnen) noch die Nachtkühle. Es gab bei aller Tragik auch manche lächerliche Situation.So ging z.B. Schwester Maria herum und bot überall ihre Gläser mit herrlichster Marmelade an. Keiner zeigte sich begierig danach! Appetit hatten wir nicht, und mitnehmen ließen sie sich nicht so leicht. Dann hockten wir mal ein Weilchen alle zusammen in der Ecke des Gartens und aßen die Reste vom Geburtstagskuchen, die nicht mit Splittern gespickt waren. Die meiste Zeit aber stand oder saß ich allein an unserer Laube und sah zu, wie sich das Feuer immer weiter fraß. Ein Weilchen hatte ich Hoffnung, daß es im zweiten Stock stehen bliebe, nachts gegen 2 Uhr schien es zu verlöschen. Ich wagte es, einmal aus dem Garten hinterm Haus nach vorn auf den Hohenthalplatz zu gehen – da war alle Hoffnung zunichte: die Flammen schlugen schon aus unseren Fenstern, sie fraßen gerade unser Klavier, die schönen Schränke, so vieles, was uns lieb war. Ich habe in der Erinnerung noch genau dasselbe Gefühl wie damals. Ich wunderte mich schon damals, daß es nicht viel schmerzlicher war. Nein, mich ließ es ziemlich gleichgültig, lastete doch die lange Ungewißheit um Marias und Vatis Schicksal viel schwerer auf mir und die Trauer um die Jungen, und ich wünschte mir weiter nichts als daß ich die Worte aus Schillers »Glocke« noch erleben dürfte: »Einen Blick nach dem Grabe seiner Habe sendet noch der Mensch zurück, greift fröhlich dann zum Wanderstabe. Was Feuers Wut ihm auch geraubt, ein süßer Trost ist ihm geblieben: er zählt die Häupter seiner Lieben, und sieh’, ihm fehlt kein teures Haupt.« Es mag lächerlich klingen, daß man in einer solchen Situation an pathetische Dichtung denkt. Aber eine solche Nacht ist lang, viel länger als andere. Dasschaurig-schöne Schauspiel jener Nacht ist schwer zu beschreiben: als die Sauerstoffbomben explodierten und wie feurige Drachen durch die Luft jagten, fing auch das Ostra-Gut Feuer. Entsetzlich das Brüllen des Viehs, das zum Teil noch in den Ställen stand. Die Pächter waren geflüchtet, die Schafe nur waren draußen im Ostragehege, wo sie auch sonst immer weideten. Sie hatten großes Glück, daß der Wind nicht gerade auf uns zu stand, sonst hätte uns bei dem Feuersturm auch im Garten noch das Letzte in Flammen aufgehen können. Als gegen 4 Uhr früh das Studierzimmer brannte – ach, war das traurig! Was ist da unserm Vati alles verlorengegangen, auch ein fast druckfertiges Manuskript über ein historisches Thema – und jetzt weiß ich nicht einmal mehr den Titel.
     
    Der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes 1985 Kindersuchdienst UK – 021 12 – weiblich
    Familienname: unbekannt
    Vorname: unbekannt
    angenommenes Geburtsdatum: 1 . 10.1941
    Fundort: am 13./14.2.1945 nach dem Bombenangriff auf den Elbwiesen in Dresden
    Bekleidung: Hemdchen aus Trikotresten Personenbeschreibung: blaue Augen, blondes Haar, schielte auf einem Auge, Hüftgelenkluxation
     
    Dresden Eva Schließer
    Den Vormittag des 14. Februar haben wir furchtbar geschuftet. Wir hatten die Wohnung annähernd besenrein, ich stand gerade auf der Treppenleiter und hatte nach vieler Mühe das Wohnzimmerfenster mitHobel und Schnitzmesser zum Passen gebracht, als man mir von der Straße her andeutete, es wäre wieder Alarm. Ich glaubte nicht recht daran und kam erst spät in den Keller, wo ich viele Flüchtlinge vorfand. Sie waren halbverdurstet und baten mich um Wasser. Also noch einmal nach oben und Wasser geholt. Dann wollte ich gerade ein paar Scheiben Brot aus dem Keller bringen, als mich Mutti entsetzt zu sich rief. Da fielen auch schon wieder Bomben. Dieser 3. Angriff war wohl nicht ganz so schwer wie die ersten beiden, entsetzlich war dabei unser vollgestopfter, finsterer Keller. Wir hockten fast übereinander, die Bomben krachten, Kinder schrien. Unsere kleinen Schlesier riefen »Lieber Gott, hilf!«, und wir Großen hätten am liebsten laut mit eingestimmt. Immerhin blieb auch bei diesem 3. Angriff die allgemeine Haltung diszipliniert. Wenn ich mich recht erinnere, war es bei den ersten beiden Angriffen

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