Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
totenstill in unserem Keller.
Nur beim 2. hörten wir voll Entsetzen, wie unsere Kirchenglocken von allein zu läuten begannen. Unser liebes Kirchlein stand nach dem Mittagsangriff sofort in hellen Flammen. Immer neue Menschenmassen fluteten in unseren Keller, der ganze Hohenthalplatz brannte. Nur unser Pfarrhaus und das Hohenthalhaus blieben vorerst verschont. Jetzt auf einmal eine Stimme: Auch bei uns brennt es auf dem Dachboden. Oehmes waren schon am Werk, als ich hinaufkam. Mit Hilfe der Handspritze gelang es uns, diese erste Stabbrandbombe zu löschen. Ich habe gar kein offenes Feuer zu sehen bekommen. Auch als wir die zweite Brandstelle entdeckten, bemerkten wir zunächst nur Rauchentwicklung. Das war in der Wohnung über
uns. Wahrscheinlich hat die Bombe im Gebälk über der Brandmauer gesteckt, denn das Feuer griff auf beide Häuser über. Ein Mann stieg angeseilt aus der Mansarde aufs Dach und löschte von außen. Da brannte auch schon der Boden. Wir löschten mit vier Spritzen, Wasser hatten wir mehr als ich dachte, aber einmal nahm es eben auch ein Ende. Vor allem gingen unsere Kräfte zur Neige. Jetzt nachträglich denke ich oft, wir hätten das Haus halten können, wenn wir die ganze Löscherei besser organisiert hätten. Aber uns fehlten auch die Menschen zum Bilden einer Eimerkette. Löschsand konnten wir beim Dachbrand überhaupt nicht verwenden, und von außen her wurde das Feuer durch den unvorstellbaren Sturm ungeheuer angefacht. Unvergeßlich wird mir das Bild bleiben, das sich beim Löschen vom Mansardenfenster aus bot. Schemenhafte Gestalten jagten unter einem gelbgrünen Sturm über den Hohenthalplatz hinweg. Das Leid, die vielen grauenhaften Einzelschicksale, sind so schrecklich, daß man sie kaum noch zu fassen vermag. Nachdem wir das Löschen als zwecklos aufgeben mußten, haben wir versucht, das Wichtigste zu retten. Ich erinnere mich noch, wie ich zuerst das Wertvollste aus dem Keller fortschaffte. Hätten wir nur gewußt, daß das Haus so langsam niederbrennt, wir hätten manches mehr retten können. Aber wohin mit den Sachen? Zunächst nahm Pfarrer Flades und Dammes Garten unsere Sachen auf. Ein ganzes Paket Kleider hatte ich auch auf Vatis Grab hinter den Stein geworfen. Als wir die letzten Waschwannen aus dem Keller holten, war es schon dunkel geworden. Durch den wahnsinnigen Qualm brach die Nacht schneller herein.Unsere Kräfte waren am Ende. Unvorstellbar dreckig und erschöpft brachen wir zu Direktor Hartliebs auf. Dort fanden wir zwar das Haus auch stark beschädigt, konnten uns aber wenigstens die Hände waschen und einen Schluck warmen Kaffee trinken. Ach, wie bescheiden war unser Wünschen, wie elementar unsere Bedürfnisse geworden! Kaum war ich mit Mutti wieder im Garten angelangt, als von fern eine Art Sirenenton ertönte. Wir besaßen ja in unserer Gegend keine Sirene mehr. Verängstigt stürzten wir mit etwas Gepäck ins Hohenthalhaus. Unser Haus stand noch in hellen Flammen, als ich um Mitternacht mit Tante Liesel zum Pfarrgarten ging, um von 2–4 Uhr die Wache bei unseren dort lagernden geretteten Sachen zu übernehmen. Mir waren Zeuge, wie gerade unsere und Flades Etage ausbrannte, wie die Decken zusammenstürzten, wie in Onkel Gottfrieds Studierzimmer Hunderte wertvollster Bücher in hellen Flammen aufgingen. Hätte man nicht schreien sollen bei diesem Bild sinnlosester Zerstörung? Machtlos standen wir bei unserer geringen Habe und waren doch noch reicher als Tausende, die nichts mehr als ihr nacktes Leben besaßen. Ich versuchte, die Matratzen und Betten so gut wie es ging vorm Regen zu schützen, der teils rettend vor dem Funkenflug, teils vieles Gerettete noch verderbend, unschlüssig herniederrieselte. Als Unterstand hatte ich mir das Friedhofspförtchen gewählt, wo ich zum ersten Mal bei Vatis Beerdigung mit Mutti und Ursel Schutz vor dem Regen gesucht hatte. Da dachte ich all die Jahre zurück, angefangen von der Wende, die mit Vatis Tod in mein Leben getreten war, über all die Zeit hinweg, die wirin diesem Hause in Kummer und in Sorgen, aber auch in Freuden verbracht hatten. Mir war, als versänke da auch meine Jugendzeit, zumindest ihr erster Teil, in Rauch und Asche. Im Hohenthalhaus lag Mutti mit hohem Fieber auf einer Holzbank. Ursel und ich kamen morgens dorthin zurück und warteten naß und frierend im kalten Keller auf einen Schluck warmen Kaffee. Es war ein recht trostloser Morgen. Gott sei Dank kam Mutti wieder zu Kräften, und so ging es denn,
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