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Der Rote Krieger: Roman (German Edition)

Der Rote Krieger: Roman (German Edition)

Titel: Der Rote Krieger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miles Cameron
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förmlich.
    »Wie groß ist unsere Kampfkraft in diesem Augenblick?«, wollte der Prior wissen.
    »In der Priorei?«, fragte der Marschall zurück. »Ich kann sechzehn Ritter für Euch auftreiben, die in der Lage sind, noch heute Morgen auszureiten. Und im gesamten Herrschaftsgebiet? Vielleicht fünfzig, wenn ich Euch auch die alten Männer und die Jungen dazu gebe.«
    Der Prior hob das Stück Birkenrinde, und sein Marschall erbleichte.
    »Und wenn wir all unsere Knappen, die schon dazu bereit sind, zu Rittern schlagen?«, fragte Ser Mark.
    Der Marschall nickte. »Dann sind es vielleicht siebzig.« Er rieb sich den Bart.
    »So sei es«, sagte Ser Mark. »Hier geht es nicht um einen kleineren feindlichen Einfall. Sie würde uns niemals rufen, wenn das kein Krieg wäre.«
    Der Palast von Harndon · Harmodius
    Harmodius verfluchte sein Alter und suchte in dem silbernen Spiegel nach beruhigenden Anblicken. Doch er fand keine. Die buschigen schwarz-weißen Brauen empfahlen ihn genauso wenig als Liebhaber, wie es sein Kopf tat, der oben kahl war, während die weißen Haare an den Seiten bis auf die Schultern herabhingen, die Haut vom Alter gezeichnet und die Schultern gebeugt waren.
    Er schüttelte den Kopf, eher über die Dummheit, die Königin zu begehren, als über sein Spiegelbild. Er gestand sich ein, dass er mit seinem Spiegelbild und dessen Ursprung grundsätzlich zufrieden war.
    »Ha!«, sagte er zu dem Spiegel.
    Miltiades rieb sich gegen ihn, und Harmodius schaute auf die alte Katze hinunter.
    »Die Alten sagen uns, dass sich die Erinnerung zur Wirklichkeit verhält wie das Wachssiegel zum Stempel«, sagte er.
    Die Katze sah mit altersmüder Gleichgültigkeit zu ihm hoch.
    »Nun?«, fragte er Miltiades. »Gilt die Erinnerung an mein eigenes Spiegelbild etwa als eine neue Ebene der Entfernung von der Wirklichkeit? Ist sie das Bild eines Abbildes derselben?« Er kicherte, war zufrieden mit diesem seltsamen Einfall, und da kam ihm noch ein anderer.
    »Wie wäre es, wenn du einen Zauber wirken könntest, der das, was wir sehen, zwischen Auge und Hirn verändert?«, fragte er die Katze. »Was würde das Hirn dann wahrnehmen? Wäre es die Wirklichkeit, oder ein Abbild derselben, oder nur das Bild eines Bildes?«
    Wieder warf er einen Blick in den Spiegel. Dann schürzte er die Lippen und machte sich daran, die Treppe hinaufzusteigen. Die Katze folgte ihm; ihr schwerer, vierpfotiger Gang war zugleich eine stumme Beschwerde und Anklage gegen ihr Übergewicht.
    »Also gut«, sagte Harmodius, nahm Miltiades auf den Arm und streichelte dem Tier über den schmerzenden Rücken. »Vielleicht sollte ich mich etwas mehr bewegen«, sagte er. »In meiner Jugend war ich ein annehmbarer Schwertkämpfer.«
    Die Schurrhaare der Katze zuckten vor Tadel.
    »Ja, meine Jugend liegt schon einige Zeit zurück«, gab er zu.
    Die Schwerter hatten seitdem ihre Form verändert. Und ihr Gewicht.
    Er seufzte.
    Am oberen Ende der Treppe schloss er die Tür zu seinem Allerheiligsten auf und stellte die Schutzmechanismen neu ein, die er hier zurückgelassen hatte. Es gab nur wenig zu bewachen. Zwar waren seine Bücher und Artefakte überaus wertvoll, aber sie wurden nicht durch das Schloss und die magischen Wächter geschützt, sondern durch den König persönlich. Wenn er je das Vertrauen des Königs verlieren sollte …
    Er wollte gar nicht darüber nachdenken.
    Das Verlangen nach Desiderata war vermutlich der kleinste gemeinsame Nenner des gesamten Hofes, dachte er und lachte. Dann begab er sich zur Nordwand, an der das Regal mit den archaischen Schriftrollen stand. Die meisten hatte er auf Raubzügen in die Nekropolen der fernen Südländer an sich gebracht, und sie warteten auf ihn wie die Tauben in einem Schlag. Früher bin ich ein sehr wagemutiger Mann gewesen.
    Er setzte Miltiades auf dem Boden ab, und die Katze tappte schwer in die Zimmermitte und legte sich in die Sonne.
    Er las Texte über die Ursprünge der menschlichen Erinnerung. Dabei trank er immer wieder ein wenig aus einem Glas mit Wasser, das bereits einen Tag alt war. Dadurch schmeckte er noch ein wenig von den Flammen des vergangenen Tages, vermischt mit etwas Kreide, und mindestens ein Dutzend Mal sagte er während des Lesens »Hm.«
    »Hm«, sagte er erneut und rollte das Schriftstück sorgfältig zusammen, bevor er es wieder in die Knochenröhre schob, die es schützte. Die Schriftrolle war unsagbar wertvoll – es war eine von vielleicht drei noch existierenden Rollen des

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