Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
Archaikers Aristoteles. Er hatte sie schon immer kopieren wollen, es bisher aber nicht getan. Manchmal war er versucht, die Vernichtung der beiden anderen anzuordnen, die sich in der Bibliothek des Königs befanden.
Er seufzte über seinen kindlichen Stolz.
Die Katze streckte sich im Sonnenpfuhl aus und schlief ein.
Nun erschienen die anderen beiden Katzen. Er wusste nicht, wo sie gewesen waren – und plötzlich war er sich gar nicht mehr sicher, wann er sie bei sich aufgenommen hatte und woher sie überhaupt gekommen sein mochten.
Aber er hatte die Stelle gefunden, an die er sich erinnert hatte. Darin ging es um ein Organ im Gewebe des Hirns, das die Bilder vom Auge zum Verstand übertrug.
»Hm«, sagte er lächelnd zu sich selbst und streckte die Hand nach der alten Katze aus, weil er sie streicheln wollte. Sie biss ihn heftig.
Seine blutende Hand zuckte zurück, und er fluchte.
Miltiades stand auf, ging ein paar Schritte, legte sich wieder hin. Und starrte ihn böse an.
»Ich benötige eine Leiche. Vielleicht sogar ein Dutzend«, sagte er, bog die Finger und stellte sich die Obduktion vor. Sein Meister hatte Obduktionen immer geliebt … und es hatte kein gutes Ende genommen.
Es hatte ihn dazu geführt, auf dem Feld von Chevin auf der Seite der Wildnis zu kämpfen. Diese alte Erinnerung schmerzte, und Harmodius kam ein seltsamer Gedanke. Wann habe ich zuletzt an die Schlacht von Chevin gedacht?
Wie eine Lawine polterte es in seinen Kopf hinein. Er geriet ins Taumeln und setzte sich unter dem Ansturm der Erinnerungen an die merkwürdige Aufstellung des Feindes. Da waren die Wildbuben an den Flanken und all die Ungeheuer in der Mitte, während die Ritterschaft des Königreiches mit Pfeilen übersät wurde, als sie durch die Wellen des Grauens ritt und sich den Kreaturen der Wildnis gegenüberstellte.
Seine Hände zitterten.
Und sein Meister war bei ihnen gewesen. Er hatte sorgfältige Zaubereien gewirkt, die die Ritter getäuscht und verwirrt hatten. Er hatte die königlichen Bogenschützen dazu gebracht, ihre Pfeile auf die eigenen Ritter abzuschießen und gegeneinander zu kämpfen …
Und so habe ich ihn angegriffen. Harmodius schätzte diese Erinnerungen nicht sehr. Der König hatte ihn angefleht, irgendetwas zu unternehmen. Die Barone waren misstrauisch gegen ihn gewesen, denn sie hatten befürchtet, er könnte sie verraten und sich ebenfalls auf die Seite der Wildnis schlagen.
Der Gedanke an die Augen seines Meisters, als sie sich gegenübergestanden hatten …
Er hat Zauber gewirkt, und ich habe ebenfalls Zauber gewirkt. Harmodius schüttelte den Kopf. Warum ist er zu unserem Feind übergelaufen? Warum? Warum? Warum? Was hat er erfahren, als er diese alten Leichen sezierte?
Warum habe ich noch nie darüber nachgedacht?
Wieder zuckte er mit den Achseln. »Meine Überheblichkeit hat sich von der seinen unterschieden«, sagte er zu seinen Katzen. »Aber ich bete zu Gott, dass er das Licht sehen wird.« Zumindest so viel davon, dass es ihn zu einem kleinen Aschehaufen zusammenfallen lässt, fuhr er in Gedanken fort. Es sollte ein wahrhaft mächtiges Licht sein. Hell wie ein Blitz.
Einige Dinge wurden am besten nicht laut ausgesprochen, damit sie nicht herbeigerufen werden konnten. Er hatte seinen Meister besiegt, aber dessen Leichnam war nie gefunden worden. Und tief in seinem Innern wusste Harmodius, dass sein Lehrer noch irgendwo da draußen war. Dass er noch immer ein Teil der Wildnis war.
Es reicht, dachte er und griff nach einer weiteren Schriftrolle, die sich mit dem Erinnerungsvermögen beschäftigte. Er überflog sie schnell, nahm ein schweres Lexikon von einem hohen Regal, schlug etwas nach und schrieb eilig ein paar Worte nieder.
Er hielt inne, klopfte mit den Fingern in schneller Folge gegen einen alten gläsernen Trinkbecher und dachte darüber nach, wer ihn mit frischen Leichen für seine Arbeit versorgen könnte. In der Hauptstadt kam niemand infrage. Sie war zu klein, und am Hof herrschten Intrige und Geschwätz.
»Wer würde euch füttern, wenn ich eine Reise machte?«, fragte er die Katzen. Aber schon raste sein Puls. Er hatte seinen Turm nicht mehr verlassen, seit … er konnte sich nicht erinnern.
»Grundgütiger Gott, bin ich etwa seit der Schlacht ununterbrochen hier gewesen?«, fragte er Miltiades.
Die Katze sah ihn böse an.
Plötzlich kniff der Magier die Augen zusammen. Er konnte sich nicht an die Zeit erinnern, als diese Katze noch ein Kätzchen gewesen oder woher
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