Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
auch wenn für den Hauptmann jeder Zoll nach der Macht roch, die zu ihrer Erstürmung benutzt worden war. Vor mehr als hundert Jahren. Vor mehr als zweihundert Jahren.
Und noch immer lagerte die Macht hier, wie der Geruch des Rauchs nach einem Feuer.
Schließlich führte das Irrlicht der Äbtissin sie zu einer zweiflügeligen Eichentür, die mit Eisen, Kupfer und Silber beschlagen war. Das Auge des Hauptmanns erkannte Sigille auf ihr – mächtige Wächter, die auf hermetische Weise gezeichnet worden waren.
Etwas Ähnliches hatte er noch nie zuvor gesehen.
Sie hatte ihm den Schlüssel gegeben.
Er hielt ihn mit erneuertem Respekt.
Viele der Männer waren äußerst nervös. Eine ganze Stunde in stillen, unheimlichen Gängen tief in der Erde schien nicht die beste Vorbereitung für einen Kampf zu sein. Die Laute, die hinter ihm ertönten, waren die von Männern, die sich am Rande einer Panik befanden.
Er drehte sich um und warf ein sanftes Licht.
»Fertig, Freunde?«, fragte er leise.
Immer mehr Männer stolperten in den Vorraum vor der großen zweiflügeligen Tür.
»Wir werden in der Kapelle der Unterstadt herauskommen«, erklärte er. »Das Dach ist eingefallen. Lauft nicht. Hier draußen ist ein verstauchter Knöchel ein Todesurteil, und wir werden nicht auf demselben Weg zurückkehren. Also solltet ihr auch nicht versuchen, einfach hierzubleiben.« Den Grund dafür konnte er ihnen nicht erklären.
Einen Augenblick lang wollte er die hermetische Verteidigung der Festung öffnen.
Er lud seine Stimme mit Ruhe auf. Mit Humor. Mit Normalität.
»Kommt, wir holen Tom«, sagte er und lächelte Jehannes zu, der – Gott sei es gedankt – zurücklächelte.
Und dann drehte er den Schlüssel um.
Nördlich von Lissen Carak · Thorn
Thorn spürte die Veränderung. Er war damit beschäftigt, seine Batterie neu einzurichten und wünschte, er wäre Mathematiker oder Maschinenbauer gewesen – eine verlässliche menschliche Rechenmaschine, die die langweilige und gleichzeitig anstrengende Arbeit des Zielens mit den großen Felsbrocken besser verrichten könnte. Exrech hatte sich als wenig interessiert und viel zu langsam erwiesen. Er wollte überhaupt nichts tun.
Er sah den Kobolden beim Graben zu. Sie schütteten einen weiteren Hügel außerhalb der Reichweite der neuen Maschine auf der Festung auf. Die Errichtung dieses neuen Geschützes stellte eine schwere Niederlage für ihn dar, was sowohl Zeit als auch Mühe anging.
Er wollte verhindern, dass er die neue Maschine auf der Festung mit seiner eigenen Macht vernichten musste. Eine andere Waffe mit der dazu nötigen Reichweite besaß er nicht. Also würde er seine Macht wie ein wütender, tobender Junge vergeuden müssen, wenn er in die tausend Jahre alte Verteidigungsanlage der Festung einbrechen wollte.
Das würde ihn schwächen.
Und dann spürte er die Veränderung. Er schmeckte die Luft und verschwendete wertvolle Zeit damit, einen Raben über die Mauern zu schicken. Und er sah den Strahlenkranz aus Feuer um die Hände seines früheren Lehrlings, sah die große Maschine, die gerade gespannt wurde, sah …
… nichts mehr.
Sein Rabe war von einem Pfeil getroffen worden und stürzte zu Boden.
Er fluchte, war orientierungslos. Griff nach einem anderen …
Der Verteidigungsschild der Festung war gesenkt.
Er trat hinter seinem neuen Belagerungshügel hervor. Hob den Arm, schleuderte einen Schaft aus reinem grünem Licht.
Und lachte.
Lissen Carak · Harmodius
Harmodius errichtete einen Schild vor dem Lichtschaft – wie ein Ritter, der auf dem Turnierplatz parierte. Und die beiden magischen Werke lösten sich unter einem Lichtblitz gegenseitig auf.
Harmodius taumelte und musste nach der Quelle der Macht unter seinen Füßen greifen. »Gütiger Gott, sei mir gnädig«, murmelte er.
Ein Schlag. Thorn konnte ihn mit einem einzigen Schlag all seiner Macht berauben.
Lissen Carak, Unterstadt · Der Rote Ritter
Der Hauptmann trat als Erster aus dem Tor. Jehannes war ihm dicht auf den Fersen und führte seine Soldaten rechts aus der Kapelle hinaus.
Das Hauptschiff war voller schlafender Kobolde.
Das Töten konnte beginnen.
Er zählte die Rüstungen, die an ihm vorbeiliefen, verzählte sich, musste schätzen.
Aber Pampe hielt sich an ihr Versprechen. Sie war die Letzte.
»Der Letzte ist durch!«, rief sie und tänzelte nach rechts.
Der Hauptmann schlug die großen Türen zu, deren Schlüssel noch auf der anderen Seite im Schloss steckte.
Als sich die
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