Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Rote Krieger: Roman (German Edition)

Der Rote Krieger: Roman (German Edition)

Titel: Der Rote Krieger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miles Cameron
Vom Netzwerk:
aber die fehlenden Scheiben standen in einem scharfen Kontrast dazu; das Metall wirkte fast schwarz und unheimlich.
    Er starrte das Fenster, das Thomas, den Schutzheiligen des Konvents, bei seinem Martyrium zeigte, eine ganze Zeit lang an.
    Dann durchbrachen Langeweile und Verärgerung seine Meditation, und er lief wieder auf und ab.
    Sein zweiter Anfall von Langeweile wurde durch das Eintreffen von zwei Nonnen im grauen Habit des Ordens unterbrochen. Sie hatten die Kutten am Hals geöffnet und die Ärmel hochgerollt. Beide waren mit schweren Handschuhen bekleidet, hatten sonnengebräunte Gesichter und trugen zwischen sich einen Adler auf einer Stange.
    Einen Adler .
    Beide verneigten sich höflich vor dem Hauptmann und ließen ihn mit dem Vogel allein.
    Der Hauptmann wartete, bis sie die Halle wieder verlassen hatten, und ging dann hinüber zu dem Vogel, dessen dunkles Goldbraun mit ein paar helleren Einsprengseln ihn als ein ausgewachsenes Tier auswies.
    »Vielleicht ein wenig zu ausgewachsen, was, alter Knabe?«, sagte er zu dem Vogel, der beim Klang der Stimme den Kopf unter der Haube drehte, den Schnabel öffnete und mit einer Stimme »Raaak!« krächzte, die laut genug schien, um eine ganze Armee zu kommandieren.
    Die Fesseln des Vogels waren unverziert. Der Hauptmann, der mit kostbaren Vögeln aufgewachsen war, hatte eigentlich erwartet, sie umstickt und mit Goldblättern umrankt zu sehen, die so viel wert waren wie die gesamte Rüstung des Hauptmannes, die immerhin ein hübsches Sümmchen gekostet hatte.
    Der Adler war so groß wie der Oberkörper des Roten Ritters, größer als jeder Vogel, den sein Vater – er musste beim Gedanken an diesen Mann innerlich grinsen – je besessen hatte.
    »Raaaaak!«, kreischte der Vogel abermals.
    Der Hauptmann verschränkte die Arme vor der Brust. Nur ein Narr band den Vogel eines anderen los – vor allem wenn dieser Vogel groß genug war, um den Narren zu fressen. Aber in seinen Fingern juckte es, genau das zu tun und das Gewicht des Adlers auf der Faust zu spüren. Konnte ein solch gewaltiges Tier überhaupt fliegen?
    Ist das wieder eines von ihren kleinen Spielchen?
    Nach einer kurzen Wartezeit hielt er es nicht mehr aus. Er zog seine Lederhandschuhe an und fuhr mit dem Handrücken über die Krallen des Vogels. Dieser trat gehorsam auf sein Handgelenk und drückte es wie eine Streitaxt nieder. Sogar noch stärker. Sein Arm sank herunter, und es kostete große Mühe, den Vogel auf Augenhöhe zu heben und ihn wieder auf seine mit Leder bespannte Stange zu setzen.
    Als das Tier die eine Klaue sicher darum gelegt hatte, drehte es ihm den Kopf unter der Haube zu, als könnte es ihn deutlich sehen, und bohrte ihm drei Krallen in den linken Arm.
    Als der Hauptmann aufkeuchte, trat der Vogel ganz auf seine Stange, sah ihn aber weiterhin an.
    »Raaak!«, krächzte er mit offensichtlicher Befriedigung.
    Blut tropfte aus der Manschette seines Handschuhs.
    Er blickte den Vogel an. »Du Bastard«, sagte er. Dann lief er wieder auf und ab, doch nun hielt er sich während der ersten zwanzig Schritte den linken Arm fest.
    Sein dritter Anfall von Langeweile wurde durch die Bücher gedämpft. Bei seinem ersten Besuch hatte er ihnen nur einen oberflächlichen Blick geschenkt und sie als reizlos abgetan. Sie zeigten die übliche große Handwerkskunst und ausgezeichnete Kalligrafie sowie wundervolle Miniaturen und Vergoldung. Schlimmer noch, bei beiden Bänden handelte es sich um das Leben der Heiligen – ein Thema, an dem der Hauptmann nicht das geringste Interesse hatte. Doch die Langeweile trieb ihn schließlich wieder zu den Büchern hin.
    Das linke, das unter dem Fenster des heiligen Mauritius lag, war kunstvoll bebildert, besonders die Darstellungen der heiligen Katharina machten einen lebendigen und kostbaren Eindruck. Kichernd fragte er sich, welches hübsche Modell sich im Kopf des Mönchs oder vielleicht auch der Nonne befunden haben mochte, während der Künstler oder die Künstlerin die Umrisse des Fleisches liebevoll nachgezeichnet hatte. Das Gesicht der heiligen Katharina zeigte keine Spuren der Qual, sondern eher solche der Verzückung …
    Er lachte, begab sich zu dem zweiten Buch und dachte dabei über das Leben der Frommen nach.
    Was ihn an dem zweiten Band zuerst überraschte, war das schlechte Archaisch, in dem er abgefasst war. Die Kunst hingegen war köstlich. Auf dem ersten Blatt befand sich eine Kapitale, in der sich der Künstler selbst dargestellt hatte, wie er

Weitere Kostenlose Bücher