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Der Rote Krieger: Roman (German Edition)

Der Rote Krieger: Roman (German Edition)

Titel: Der Rote Krieger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miles Cameron
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aber nur hinter geschlossenem Visier. Der Mann biederte sich bei jedem an.
    »Ich rede mit ihnen, wenn ich hier fertig bin, Sergeant.« Ser John bemühte sich, seine Atmung unter Kontrolle zu bekommen.
    »Ich glaube, sie wollen … Euch sofort sprechen.« Das ist neu. Tom Speichellecker stellte Befehle nie infrage. Der Mann schluckte. »Mylord.«
    Es scheint wirklich ein Notfall zu sein.
    Ser John ging zu seinem neuen Knappen hinüber, dem jungen Harold, ließ sich von ihm das Visier hochklappen und den Helm abnehmen. Plötzlich schämte er sich seiner Rüstung. Sie war an vielen Stellen braun geworden. Sein Waffenrock war einmal aus gutem Samt gewesen. Wie lange mochte das schon her sein?
    »Säubere die Rüstung«, sagte er zu Harold. Der Junge zuckte zusammen, was sehr gut zu Ser Johns Stimmung passte. »Polier den Helm und such mir einen Rüstmeister. Ich will, dass die Stoffteile erneuert werden.«
    »Ja, Ser John.« Der Junge sah ihn nicht an. Eine Rüstung in der Unterstadt herumzutragen war keine einfache Aufgabe.
    Ser John zog seine gepanzerten Handschuhe aus und ging quer über den Hof zum Wächterraum. Dort befanden sich zwei Männer – wohlhabende Männer in kostbaren Umhängen und sauberen Hosen. Einer trug die hiesige graue Wolle und hielt einen Sack in der Hand, der andere steckte in einem dunkelroten Mantel.
    »Meine Herren?«, fragte er. »Verzeiht mir meine Rüstung.«
    Der Mann in dem roten Wollmantel trat vor. »Ser John? Ich bin Will Flodden, und dies hier ist mein Vetter John. Wir besitzen Gehöfte an der Lissen-Carak-Straße.«
    Ser John entspannte sich. Wenigstens ging es nicht um eine Beschwerde über seine Garnisonssoldaten.
    »Red weiter«, sagte er freundlich.
    »Ich hab einen Irk getötet«, sagte derjenige, der John hieß. Seine Stimme zitterte.
    Ser John war schon an vielen Orten gewesen. Er kannte die Menschen, und er kannte die Wildnis. »Wirklich?«, fragte er, da er Zweifel hegte.
    »Ja«, meinte der Bauer. Er war unsicher und sah seinen Vetter hilfesuchend an. »Da waren drei von denen. Sind über mein Feld gelaufen.« Er schlang die Arme um sich. »Und einer ist auf mich zugekommen. Da bin ich ins Haus gelaufen, hab meinen Bogen geholt und auf ihn geschossen. Die anderen sind abgehauen.«
    Ser John setzte sich etwas zu plötzlich. Eine Rüstung und das hohe Alter waren keine gute Mischung.
    Will Flodden seufzte. »Zeig es ihm doch einfach.« Er schien ungeduldig zu sein und wollte offenbar so schnell wie möglich zu seinem Gehöft zurückkehren.
    Noch bevor der andere die Schnur aufzog, die den Sack verschloss, wusste Ser John, was er gleich sehen würde. Doch das Aufbinden der Schnur und das Öffnen des Sackes dauerten sehr lange, denn das, was sich darin befand, hatte sich in dem groben Leinen verfangen.
    So konnte er sich noch einige Zeit lang einreden, dass der Mann unrecht haben musste. Er hatte bloß ein Tier getötet. Vielleicht einen Eber mit einem seltsamen Kopf oder etwas Ähnliches.
    Doch vor zwanzig Jahren hatte Ser John mit Tausenden anderen Männern einem Angriff von zehntausend Irks widerstanden. Er erinnerte sich nur allzu gut daran.
    »Beim Weinen Jesu, Christus und die heilige Jungfrau mögen uns beistehen«, sagte er.
    Es war tatsächlich ein Irk. Sein schöner Kopf wirkte irgendwie klein und unheimlich, weil er von dem sehnigen Körper abgetrennt worden war.
    »Wo genau?«, wollte er wissen. Er drehte sich um, beachtete Tom Speichellecker erst gar nicht, denn der war in einer Krise nicht mehr als ein nutzloser Idiot, und brüllte: »Clarkson! Schlag Alarm und hol den Bürgermeister!«
    Lissen Carak · Der Rote Ritter
    Geduld war noch nie die größte Tugend des Hauptmanns gewesen. Er lief in der großen Halle des Konvents auf und ab, immer auf und ab, und seine Wut verebbte und schwoll im gleichen Rhythmus wieder an, in dem er die Beherrschung über sich gewann und verlor. Er vermutete, dass ihn die Äbtissin absichtlich warten ließ. Er begriff ihre Absichten und erkannte ihr Verlangen, ihn zu demütigen und im Ungewissen zu lassen, während sie doch ganz genau um seine Wut und Ungewissheit wusste.
    Allmählich verwandelte sich sein Zorn in Langeweile.
    Er bemerkte, dass die Scheiben in der Bleiverglasung der Fenster fehlten. Einige waren durch Klarglas ersetzt worden, andere durch Horn und eines sogar durch eine angelaufene Bronzeplatte. Das helle Sonnenlicht, das erste wahre Anzeichen des Frühlings, brachte das tiefe Rot und Blau des Glases zum Erglühen,

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