Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
über die Vergoldung eines Triptychons, das auf einem niedrigen Schrank stand, und traf ein Weinglas, das er vor vielen Stunden dort abgestellt hatte. Dann flog das noch immer fest gebündelte Licht über die Ostwand, brannte dabei ein Dutzend oder mehr Zeichen eines Zauberspruches aus, der mit unsichtbarer, geheimer Tinte geschrieben und unter der Wandfarbe verborgen war.
Die älteste Katze zuckte zusammen und stieß ein Zischen aus.
Der Magus fühlte sich plötzlich benommen, wie beim Einsetzen eines Fiebers oder einer starken Erkältung. Aber sein Verstand wurde ganz klar und scharf, und der Stab verströmte die unmissverständliche Aura eines Artefaktes, das sich mit Macht auflud. Er sah das bösartige Lichtfragment, bewegte rasch den Spiegel ein wenig, sodass der Brennpunkt genau auf seinem Stab lag.
Dann klatschte er triumphierend in die Hände.
Die Katzen sahen sich verwirrt um, als hätten sie diesen Raum nie zuvor gesehen – und schliefen wieder ein.
Harmodius ließ den Blick schweifen. »Was im Namen der Triade ist gerade geschehen?«, fragte er.
Er musste sich nicht ausruhen. Sogar nach dem Wirken eines so mächtigen Phantasmas war er ganz und gar von Vorfreude durchdrungen, denn er spürte den Helios in seinem Stab. Er hatte sich selbst versprochen, einen Tag zu warten … vielleicht auch zwei Tage … aber die Versuchung blieb stark.
»Pah«, sagte er laut, und die Katzenohren zuckten. So lebendig hatte er sich schon seit vielen Jahren nicht mehr gefühlt.
Er nahm einen schweren Wischlappen aus Flachs, scheuerte den Boden und entfernte jede Spur der verzwickten Kreidemuster, mit denen er ihn wie mit einem kostbaren Südländerteppich bedeckt hatte. Dann kniete er trotz seines Alters und seiner schweren Robe auf einem Stück weißen Leinens nieder und rieb auch die Spalten zwischen den Schieferplatten sauber, bis nirgendwo mehr eine Spur blassblauer Kreide zu sehen war. Darin war er sehr penibel; keine Spur des letzten Phantasmas sollte übrig bleiben, während er ein neues vollführte. Die Erfahrung hatte ihm diese Lektion gründlich erteilt.
Dann ging er zu einem Seitentisch und zog dessen Schublade auf, in der eine kleine Schachtel aus Ebenholz mit Silberbeschlägen lag. Der Magus liebte schöne Dinge. Da schlecht ausgeführte Beschwörungen in Seelenvernichtung und Tod enden konnten, half ihm die Gegenwart schöner Dinge, ihn zu beruhigen und zu stützen.
In der Schachtel lagen einige aus Bronze gefertigte Instrumente: ein Kompass, eine Schublehre, ein Lineal ohne Markierungen, ein Bleistift aus Silber, Lehm und Wachs mit einer Alaunspitze, der von einem Priester gesegnet war.
Er wickelte einen Faden um den Bleistift, maß die Länge an dem Lineal ab und betete: »O Hermes Trismegistus«, dann fuhr er auf Hocharchaisch fort, reinigte sich, säuberte seine Gedanken, rief Gott und seinen Sohn und den Propheten der Magie an, während ein anderer Teil seines Geistes die genaue Länge des Fadens errechnete, die er brauchen würde.
»Ich sollte das nicht heute tun«, sagte er zu der fettesten Katze. Ihr jedoch schien es eher gleich zu sein.
Er kniete sich wieder auf den Boden – nicht zum Gebet, sondern um zu zeichnen. Er steckte einen Holzsplitter in einen Spalt zwischen den Schieferplatten und benutzte den Faden, um den Bleistift mit zitternden Händen in einem vollkommenen Kreis zu führen. In diesen Kreis zeichnete er mithilfe des Lineals und eines Schwertes ein Pentagramm. Er schrieb eine Anrufung an Gott und eine an Hermes Trismegistus auf Hocharchaisch um die Außenseite, und nur das Jaulen der Katzen nach ihrem Mittagsmahl hielt ihn davon ab, das Werk an Ort und Stelle zu beenden.
»Ihr drei seid die beste Übung für den Umgang mit den Dämonen«, sagte er, während er sie mit frischem Lachs fütterte, der im Albin gefangen und auf dem Markt verkauft worden war.
Sie beachteten ihn nicht weiter, sondern fraßen gierig und rieben sich danach unter dem lauten Bekunden ewiger Liebe an ihm.
Er nutzte die Unterbrechung, öffnete die schwere Eichentür zur Turmstube und ging die hundertzweiundzwanzig Stufen zu seinem Wohnzimmer hinunter, wo Mastiff, der Diener der Königin, in einem Armlehnstuhl saß und las. Als der Magus erschien, sprang der Mann sofort auf die Beine.
Der Magus hob eine Braue, und der Mann verneigte sich. Aber Harmodius war in Eile – in der Eile der Leidenschaft – und ließ kleine Unhöflichkeiten zunächst auf sich beruhen. »Sei so freundlich und lauf zur
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