Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
ausdrucksloser Stimme.
»Und was mich angeht«, erwiderte de Vrailly, »so will ich kein Lösegeld für Euch fordern, denn der Graf beharrt darauf, dass ich Euch nach Eurem Waffenrecht gesetzeswidrig entgegengetreten bin.« Die Worte kamen dermaßen unwillig aus ihm heraus, als hätte man sie mit einem Angelhaken hervorgezogen.
Murien sah in seinem fleckigen Wams und seiner Hose, die durch das lange Knien im Hof der Herberge ruiniert war, nicht gerade wie ein strahlender Held aus. Nichts an ihm glänzte oder glitzerte. Er hatte sich nicht einmal seinen Rittergürtel umgelegt, und sein Schwert lag noch auf dem Bett im Wagen.
Abermals nickte er. »Ich habe Euch verstanden«, sagte er.
Er wendete sein Pferd und ritt davon.
Gaston sah ihm nach und fragte sich, ob es nicht für alle besser gewesen wäre, wenn sein Vetter ihn im Herbergshof getötet hätte.
5
Der Palast von Harndon · Harmodius
Der Magus Harmodius saß in einer Turmstube, war ganz und gar von Büchern umgeben und beobachtete das Spiel der Sonnenstrahlen, die durch die hohen, klarverglasten Fenster einfielen, wenn sie auf die Staubflöckchen trafen. Es war April – der Monat des Regens, aber auch der ersten warmen Sonne, deren Licht endlich die ihr eigene Farbe und Kraft annahm. Heute war der Himmel blau, und der warme Fleck aus Sonnenschein auf dem Boden war genau das Richtige für eine Katze.
Harmodius hatte drei Katzen.
»Miltiades!«, zischte er, und eine alte, graue Katze sah ihn mit träger Unverschämtheit an.
Der mit Gold beschlagene Stock des Mannes fuhr vor und schob die Katze zur Seite, deren jüngster Schlafplatz die sorgsam gezogenen blassblauen Kreidelinien bedrohte, die sich über die dunklen Schieferplatten des Bodens zogen. Die Katze bewegte sich nur um eine Schwanzbreite weiter und schenkte dem Magus einen verächtlichen Blick.
»Vergiss nicht, dass ich dich füttere, du Biest«, murmelte Harmodius.
Das Licht fiel noch immer durch die hohen Fenster ein, kroch die gekalkte Wand hinunter und enthüllte Berechnungen in Kreide, Silber- oder Bleistift. Manche waren auch einfach nur in den Staub gekritzelt. Der Magus benutzte, was ihm gerade zur Hand war, wenn er den Drang zum Schreiben verspürte.
Das Licht kroch weiter die Wand hinunter.
Der Magus spürte in den Räumen unter ihm Männer und Frauen – ein Diener, der ein Tablett mit kaltem Wildbret zur Turmtür trug, ein Edelmann und eine Dame, die in einem wilden Stelldichein befangen waren, das wie ein kleines Feuer fast unmittelbar unter seinen Füßen brannte – wo genau?, es musste sehr öffentlich sein. Und dann war da die Königin, die wie die Sonne loderte. Er lächelte, als er über ihre Wärme fuhr. Oft beobachtete er die anderen, um sich die Zeit zu vertreiben. Es war die einzige Form des Phantasmas, das er regelmäßig auswarf.
Warum eigentlich?, fragte er sich müßig.
An diesem Morgen hatte ihn die Königin jedoch gebeten – ihn dringend aufgefordert –, etwas Besonderes zu tun.
Wirke einfach etwas Wunderbares, Magus!, hatte sie gesagt und in die Hände geklatscht.
Harmodius wartete, bis die Sonne über eine Kreidelinie hinweggeglitten war, die er gezeichnet hatte, und richtete dann den Blick auf einige Zahlen. Er nickte und nippte an seinem kalten Tee, auf dem sich bereits ein dünner Staubfilm gebildet hatte. Was war das für ein Staub? Ach ja, er hatte Knochen gemahlen, um Ölfarbe zu erhalten. Also hatte er nun Knochenstaub in seinem Tee. Das war zumindest nicht vollkommen widerlich.
Alle drei Katzen hoben die Köpfe und stellten die Ohren auf.
Das Licht wurde heller und fiel auf einen kleinen Spiegel mit dem Bild der Sternzeichen des Widders und des Stiers, die auf dem elfenbeinfarbenen Hintergrund ineinander gewunden waren – und schoss dann in einem gebündelten Strahl auf den Boden.
»Fiat Lux!«, brüllte der Magus.
Der Strahl wurde stärker, zog das ganze Licht in seiner Umgebung an, bis die Katzen im Schatten lagen, während der Strahl wie ein Blitz glitzerte. Er glitt über die Kreidezeichen, fiel durch eine Linse und schoss in die goldene Kugel, die auf seinem Stab steckte. Ohne dass er es bemerkte, traf sie ein wenig außerhalb des Mittelpunkts auf. Ein winziges Bruchstück des weißen Strahls rutschte an dem Stab ab, tanzte an der gegenüberliegenden Wand umher, wurde teilweise von der goldenen Kugel zurückgeworfen und zum anderen Teil von der Energie gebrochen, die in dem Stab brodelte. Das grelle Licht flackerte scharf auf, leckte
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