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Der Rote Mond Von Kaikoura

Der Rote Mond Von Kaikoura

Titel: Der Rote Mond Von Kaikoura Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Laureen
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passiert oder wenn es etwas gibt, was ich dir dringend mitteilen muss. Und sobald ich erst einmal angekommen bin, wirst du ständig Post von mir erhalten, und dann wird es sein, als wäre ich gar nicht weg.«
    Leicht gesagt. Nicht, dass sie nicht die Möglichkeit gehabt hätte zu schreiben. Sie vermisste Adele nur ganz furchtbar, und das Gefühl wurde schlimmer, je mehr Seemeilen hinter dem Schiff zurückblieben. Dazu kam, dass das Heimweh sich mehr und mehr durch ihre Venen fraß, dass es in ihrer Magengrube brannte und sie immer wieder sehnsuchtsvoll aufseufzen ließ, wenn sie an der Reling stand und über die Wogen blickte. Ihre Freundin und ihre Heimat – beide vermisste sie wirklich unsäglich …
    Ich sollte Adele noch einen Brief schreiben, dachte Lillian, während sie sich vorsichtig aus ihrer Koje erhob. Das Schreibzeug fand sie mittlerweile mit verbundenen Augen, doch zum Schreiben benötigte sie Licht. Lächelnd erinnerte sie sich an ihre kindlichen Versuche, einen Text mit verbundenen Augen zu Papier zu bringen, weil sie davon überzeugt war, dass ihre Hände sich schon an die Form der Buchstaben erinnern würden. Es war ihr gelungen, doch die Schrift kippte zum rechten Blattrand hin so stark ab, als hätte sie einen Abhang zeichnen wollen.
    Sie tastete also nach der Schreibtischlampe. Als der gelbe Lichtschein auf Papier, Tintenfass, Federhalter und ihre blassen, schmalen Hände fiel, beugte sich Lillian über ihren Schreibtisch und schrieb:
    Liebste Adele,
    vier Monate sind wir nun schon auf See, und mein Unmut wächst mit jedem Tag, der verstreicht, ohne dass Land in Sicht kommt. Werden wir irgendwann wieder auf festem Boden stehen?
    Obwohl ich weiß, dass wir uns unserem Zielhafen in North Canterbury nähern, kommt es mir so vor, als seien wir dazu verdammt, ewig auf diesem Schiff umherzufahren wie der Fliegende Holländer in den Geschichten, die Großvater mir immer erzählt hat, als ich noch klein war.
    Mittlerweile ist ein neues Jahr angebrochen. Die Mannschaft und die anderen Passagiere haben es mit viel Lärm und Trunkenheit begrüßt, während Großvater und ich in der Kabine geblieben sind und darüber philosophiert haben, was sich wohl auf der dunklen Seite des Mondes befände. Natürlich hat er meine Idee, dass sich dort die Bewohner unseres Trabanten verstecken würden, kategorisch abgelehnt.
    »Wenn Gott gewollt hätte, dass der Mond bewohnt ist, so hätte er uns schon von ihrer Existenz in Kenntnis gesetzt«, sagte er mit Donnerstimme. Und obwohl ich weiß, dass er recht hat, habe ich mir einen Spaß daraus gemacht, weiter darauf zu beharren, dass jede Menge Männer und Frauen auf dem Mond leben.
    Nicht, dass er mich zu dieser Diskussion gezwungen hätte. Im Gegenteil, zuvor hatte Großvater mich noch ernsthaft dazu ermuntert, nach oben zu gehen und zu tanzen. Doch mir war nicht danach zumute. Es hätte mich nur wieder an die unbeschwerten Feiern zu Hause erinnert, an die Neujahrstage, die ich bei deiner Familie verbracht habe.
    Ach, wenn ich nur schon etwas von unserer neuen Heimat sehen könnte, wäre mein Heimweh vielleicht nicht mehr so schlimm. Doch vor wie hinter uns gibt es nur endloses Wasser. Der einzige Trost sind mir die Sterne am Firmament, wenngleich sie hier vollkommen anderes aussehen als in Deutschland. Stell dir vor, die wenigen unserer Sternbilder, die man in diesen Breiten noch beobachten kann, stehen auf dem Kopf. Dafür ist das Kreuz des Südens, jenes Sternbild, das das Leben der Seeleute hier bestimmt, schöner und strahlender als alles, was du bei uns an Sternen beobachten kannst.
    Ich wünschte, du wärst hier …
    In Liebe
    Deine Lillian
    Für einen Moment zog sie in Erwägung, den Brief einfach zusammenzurollen und einer Flasche anzuvertrauen, wie es die Seeleute in früheren Zeiten getan hatten. Doch davon sah sie ab. Sie würde all die Briefe, die sie an ihre Freundin geschrieben hatte, auf die Post geben, sobald sie ihren Zielhafen erreicht hätten. Schließlich ging es nicht darum, dass Adele schnell Post bekam; das war in diesen Breiten ohnehin nahezu unmöglich. Nein, sie hatte Adele vor ihrer Abfahrt versprochen, die Reise genau für sie zu dokumentieren. Seitdem hatte sie beinahe jede Woche zwei oder drei Briefe geschrieben, angefüllt mit Eindrücken, Erlebnissen und Gefühlen, damit Adele die Reise genau nachempfinden konnte.
    Nachdem die Tinte getrocknet war, faltete sie den Brief zusammen und schob ihn in einen Umschlag, den sie zu den vielen anderen

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