Der Rote Mond Von Kaikoura
andere Dinge zu hören bekommen. Also scherte sich niemand um das Gezänk der Diener.
Viel Gepäck hatten Lillian und ihr Großvater nicht. Die meisten seiner Habseligkeiten hatte Georg Ehrenfels verkauft, um das nötige Geld zusammenzubringen, das er brauchte, um seine Auswanderung nach Neuseeland zu finanzieren. Seine wertvolle Astronomenausrüstung jedoch – Spektroskop, zwei Teleskope, Photometer und andere Dinge – hatte Deutschland noch vor seiner eigenen Abreise verlassen.
Etwas wehmütig dachte Lillian an das Haus am Kölner Heumarkt, das sie ebenfalls verkauft hatten. Es hatte nicht mehr besonders viel hergemacht, und solange sie sich erinnern konnte, hatte dort die schönste wissenschaftliche Unordnung geherrscht. Doch wenn sie sich mit einem Buch in den alten roten Ohrensessel im Salon gesetzt hatte, war sie sich immer wie eine Prinzessin vorgekommen. Eine Prinzessin, die sich fragte, wie lange es wohl gedauert haben mochte, all die Sterne an den Himmel zu nähen.
»Sei vorsichtig mit den Sternkarten«, ermahnte sie ihr Großvater, der inzwischen die Bücher einsammelte, die beinahe während der gesamten Überfahrt in der Kabine herumgelegen hatten, und in eine große Ledertasche packte. »Ich glaube kaum, dass wir in diesem Teil der Welt so schnell neue bekommen würden.«
»Genau genommen würden wir in keinem Teil der Welt solche Sternkarten bekommen«, entgegnete Lillian lächelnd, während sie die Karten vorsichtig zusammenrollte. Das Besondere an diesen Karten waren nämlich die handschriftlich eingefügten Notizen ihres Großvaters. Jeden neu entdeckten Stern, von dem er erfahren hatte, hatte er hinzugefügt und Irrtümer der Kartenzeichner berichtigt oder mit kurzen Kommentaren versehen. »Ich weiß, dass diese Karten unermesslich wertvoll sind, Großvater, und ich verspreche dir, dass ich sie nie respektlos behandeln werde.«
Ehrenfels lachte auf. »Aus diesem Grund bist du ja auch meine Assistentin und nicht irgendein grüner Student.«
»Nun, du hättest sicher auch keinen Studenten gefunden, der mit dir nach Neuseeland gegangen wäre.«
»Da hast du wohl recht. Heutzutage packt die jungen Gelehrten nur noch selten die Abenteuerlust. Sie sitzen lieber in ihren Schenken und ritzen sich die Gesichter beim Fechten an.«
Lillian betrachtete lächelnd das Gesicht ihres Großvaters. Mochte die Zeit dort auch ihre Spuren hineingegraben haben, Narben hatte er nicht auf seinen Wangen. Und das, obwohl er doch etliche Abenteuer bestanden hatte.
»Ich glaube, wir hätten doch lieber einen Packesel mitnehmen sollen«, bemerkte Georg, als er die Büchertasche neben Lillians Teppichstofftasche und seinen Seesack stellte. »Haben wir das alles wirklich selbst in die Kajüte getragen?« Auch wenn sie nicht viel Habe bei sich hatten, füllte diese immerhin noch vier Taschen – ganz zu schweigen von den Kartenetuis.
»Natürlich, Großvater!«, antwortete Lillian, während sie die letzte Karte in das lederne Etui schob und dieses dann verschloss. »Und wir werden es auch wieder nach draußen bekommen. Weit brauchen wir es sicher nicht zu schleppen, am Hafen wird es von Hilfskräften und Kutschern sicher nur so wimmeln.«
Als sie die letzten Sachen verstaut hatten, warf Lillian einen Blick aus dem Fenster. Die Sonne schickte einzelne helle Strahlen durch die doch recht dichte Wolkendecke. Am Hafen wimmelte es nur so von Menschen. Offenbar wurden einige Passagiere von Einheimischen erwartet. Aller Voraussicht nach würden sie eine Weile brauchen, bis sie einen Kutschenstand ausgemacht hatten.
Der Bekannte ihres Großvaters hatte sich um vieles gekümmert, das ihnen die Ankunft und die erste Zeit hier erleichtern sollte, aber Georg Ehrenfels hatte davon abgesehen, um eine Kutsche zu einem bestimmten Zeitpunkt zu bitten. »Das Meer ist eine sehr unstete Dame; niemand weiß, wie lange sie das Schiff in ihren Armen halten will«, hatte er erklärt, als sie den Hamburger Hafen hinter sich gelassen hatten und unter dem Kreischen Dutzender Möwen aufs offene Meer hinausgefahren waren. Tatsächlich war die Reise hin und wieder ein wenig turbulent gewesen, besonders aufgrund der Stürme, die sie jenseits des Roten Meeres heimgesucht hatten. Aber letztlich waren sie gut am anderen Ende der Welt angekommen, und nichts anderes zählte in diesem Moment.
Es dauerte eine Weile, bis sie mit ihren Koffern und Taschen das Oberdeck erreichten. Zwischendurch schoben sich immer wieder Passagiere an ihnen vorbei.
Lillian
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