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Der Rote Mond Von Kaikoura

Der Rote Mond Von Kaikoura

Titel: Der Rote Mond Von Kaikoura Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Laureen
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wollen.«
    »Das glaube ich nicht. Ich glaube, sie wollten dich eher prüfen. Und ich bin sicher, dass du die Prüfung bestehen wirst.« Damit zog er sie an sich und küsste sie.
    Nach der Trauerzeit stand die Wahl des neuen Häuptlings an. Wie es zu erwarten war, hatte sich Mani ebenfalls um das Amt beworben, doch die Tatsache, dass Henare von einem Weißen angeschossen worden war und dass er sich wieder zu seinem Stamm bekannte, hatte sein mana und sein Ansehen erheblich gesteigert. Als er seinem Cousin dann auch noch vorhielt, dem Stamm Schaden zufügen zu wollen, indem er gegen die Weißen hetzte, hatte Henare die Wahl gewonnen.
    Henares Wunde war inzwischen recht gut verheilt, gut genug, um sich wieder auf der Baustelle sehen zu lassen und an den Ritualen seines Stammes teilzunehmen. Und auch Mani, der wegen seiner Niederlage zunächst ziemlich wütend gewesen war, hatte sich wieder mit seinem Cousin vertragen.
    Lillian hatte das Gefühl, dass ihr Leben jetzt langsam wieder in geordnete Bahnen gelenkt wurde, und sie genoss die Augenblicke des Glücks intensiver als zuvor. Wer konnte schon sagen, was die Götter noch mit ihnen vorhatten? Im Moment hatte sie Henare und die Maori, ihre zweite Familie. Und sie hatte die Sternwarte, die eines Tages den Namen ihres Großvaters tragen sollte. Was konnte sie mehr verlangen?
    Als sie den Brief beendet hatte, schob sie ihn in einen Umschlag; dann trat sie aus der Hütte, in die sie mit Henare eingezogen war. Über dem Dorf spannte sich ein strahlend blauer Himmel, der Lillian das Gefühl gab, ihr Großvater würde sie anlächeln.
    Meine liebe Adele,
    lang ist es her, dass ich Dir gute Nachrichten senden konnte. Wahrscheinlich magst Du nichts mehr über Erdbeben und Tod hören, also verschone ich Dich diesmal damit, denn es gibt gute Nachrichten. Natürlich können sie all den Schmerz der vergangenen Wochen nicht aufwiegen, und schon gar nicht können sie das Zerstörte wiedererstehen lassen, doch mit kleinen, hoffnungsvollen Schritten geht es wieder voran.
    Heute Morgen wurden die Bauarbeiten an der Sternwarte offiziell wieder aufgenommen. Mr Caldwell hat Henare zum Vormann ernannt und ihm die Befugnis gegeben, über den Aufbau zu wachen und Entscheidungen selbstständig zu treffen. Unter den Arbeitern sind viele Mitglieder seines eigenen Stammes, von denen er sich allerdings nicht wie ihr neuer Häuptling behandeln lassen will. Ebenso wie sie packt er mit an, wenn es nötig ist, und wenn er einen Fehler macht, lässt er sich von ihnen auch etwas sagen.
    Allerdings gibt es an ihm eine Veränderung. Gemäß der Tradition seines Volkes hat er sich ein moko machen lassen. Richtig verwegen sieht er damit aus. Das Motiv, stilisierte Blattranken, hat Tradition in seiner Familie, und ich finde es wunderschön, solange er nicht auf die Idee kommt, sein gesamtes Gesicht damit zu schmücken.
    Den Tod seines Vaters hat er ebenso wenig schon verkraftet wie ich den meines Großvaters, aber wir geben uns gegenseitig Halt, wenn das Dunkel nach uns greift und die bösen Gedanken sich nicht mehr zurückhalten lassen.
    Du fragst Dich vielleicht, was aus Ravenfield geworden ist. Der wurde von einem Richter zu einer recht hohen Geldbuße verurteilt, die er an Henare zahlen musste. Außerdem muss er für zwei Jahre ins Gefängnis, was besonders seine Farm sehr hart treffen wird. Ich war niemals dort, aber dennoch fühle ich mit seinen Leuten, denn bisher ist nicht klar, ob er die Schafe behalten kann und ob die Männer weiterhin für ihn arbeiten werden.
    Henare bot an, sie bei der Sternwarte mitarbeiten zu lassen. Natürlich hat er den Betrag, den er erhalten hat, in den Bau investiert. Ich selbst bin mit ihm ins Maori-Dorf gezogen, wo ich mir wegen meiner Kleidung häufig seltsam vorkomme. Doch die Frauen sehen es ganz anders und behandeln mich, als wäre ich eine von ihnen – was ich genau genommen ja auch bin, denn meine Großmutter war ja ebenfalls die Tochter eines Häuptlings.
    Du siehst, das Leben hier geht weiter, und auch wenn ich mich manchmal noch in den Schlaf weine, kann ich doch hoffnungsvoll in die Zukunft schauen. Ich hoffe, Dir geht es ebenfalls gut, und ich wünsche mir so sehr, dass Du Deine Hochzeitsreise wirklich hierher machst. Ich verspreche Dir, die Menschen hier sind die freundlichsten, die Du je kennengelernt hast.
    Bis dahin umarme ich Dich!
    In Liebe,
    Deine Lillian
    PS: Die kleine Flöte, die dem Brief beiliegt, ist eine echte Schnitzerei der Maori. Wenn Du es

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