Der Rote Mond Von Kaikoura
gefunden. Doch dann hatte sie feststellen müssen, dass es bei den Schafbaronen nicht anders zuging als bei rivalisierenden Wissenschaftlern. Da wurden Erkenntnisse zurückgehalten, und es wurde alles getan, damit der Konkurrent nicht mithalten konnte. Einige gingen sogar so weit, den Tieren anderer Schafzüchter die Schafsläuse aufzusetzen, damit die Wolle unbrauchbar wurde.
Ging der Mann da hinten etwa auch so mit seinen Konkurrenten um? Als Lillian sich dabei ertappte, dass sie ihn länger als nötig ansah, war es schon zu spät. Er grinste sie breit an. Rasch und mit glühenden Wangen wandte sie sich ab. Dennoch spürte sie seinen Blick kribbelnd auf ihrer Wange. Als sie nach einer Weile aus dem Augenwinkel heraus zu ihm hinübersah, bemerkte sie, dass er sie immer noch anstarrte. Das schmeichelte ihr einerseits, beunruhigte sie aber auch ein wenig.
Natürlich gehörte es sich nicht für eine Dame, einen Mann auf der Straße anzusprechen, doch seine Blicke verwirrten sie, und so folgte sie ihrem Impuls. »Entschuldigen Sie, Sir, gibt es einen Grund, warum Sie mich so ansehen?«
Der junge Mann lächelte breit. »Verzeihen Sie, ich wollte Sie nicht belästigen. Aber selbst hier geschieht es selten, dass man einer so hübschen Lady begegnet.«
Lillian senkte verlegen und auch ein wenig geschmeichelt den Blick.
»Sie sind nicht von hier, nicht wahr?«, fuhr der Mann fort. »Ich höre da einen leichten Akzent in Ihren Worten. Sie kommen aus Übersee, nicht wahr?«
Unsicher blickte Lillian nach vorn, in der Hoffnung, dass sich die Schlange bewegen würde und sie einen Grund hätte, sich abzuwenden, doch die Leute reihten sich noch immer wie festgekettet vor dem Postamt auf. »Aus Deutschland«, antwortete sie also, in der Hoffnung, dass er dann von ihr ablassen würde und sie nicht länger diese Verwirrung spüren müsste, die sie aufgrund seiner Aufmerksamkeit überkam.
Das Gegenteil war allerdings der Fall.
»Dann sind Sie also gerade angekommen?«, fragte der Unbekannte weiter.
»Ja, und ich glaube kaum, dass mein Begleiter es gutheißen würde, dass Sie mich ausfragen.«
Kaum hatte sie das ausgesprochen, legte sich Enttäuschung auf seine Züge. »Ihr Begleiter«, wiederholte er leise; dann setzte er mit einem gezwungenen Lächeln hinzu: »Nun, wenn das so ist, bitte ich nochmals um Entschuldigung.«
Lillian ärgerte sich ein wenig über sich selbst. Eigentlich sollte sie sich doch darüber freuen, dass sich jemand für sie interessierte. Adele hätte ganz sicher geantwortet und sich nicht wie eine alte Jungfer verhalten.
»Wir wollen nach Kaikoura«, sagte sie nach einem kurzen Moment des Schweigens.
Der Mann zog die Augenbrauen hoch. »Hat Ihr Begleiter nichts dagegen, dass Sie mir diese Information geben?« Das spöttische Lächeln auf seinen Lippen verriet ihr, dass er es nicht ernst meinte – und ihr auch nicht böse war.
Gegen ihren Willen erwiderte Lillian das Lächeln. »Nein, ganz sicher nicht. Verzeihen Sie, dass ich so unhöflich war, ich bin es nicht gewohnt, von Männern angestarrt zu werden. Man hat mir beigebracht, dass sich das nicht gehört.«
»Eigentlich war es ja auch unverschämt von mir«, gab der Unbekannte zu. »Doch wie gesagt, man trifft auch hier nicht jeden Tag eine Frau, deren Aussehen einen dazu verleiten würde, gegen einen Laternenpfahl zu laufen – vor lauter Unachtsamkeit.«
Lillian hätte jetzt gern einen der Fächer gehabt, mit denen sich die Frauen an Bord Luft zugefächelt hatten, als das Schiff in südlichere Gefilde vorgedrungen war. Doch da sie noch nie besonderen Wert auf weiblichen Tand gelegt hatte, musste sie entweder ihr Gesicht abwenden, damit er ihr Lächeln nicht sah, oder sich beherrschen. Sie entschied sich für Letzteres und fragte sich gleichzeitig, was für Komplimente dieser Mann wohl noch auf Lager hatte.
»Sie sollten vorrücken«, sagte er schließlich und deutete mit einer leichten Kopfbewegung über ihre Schulter.
Als Lillian sich umsah, bemerkte sie, dass sich ihr Vordermann gut zwei Meter vor ihr befand. Rasch schritt sie voran, gefolgt von dem Fremden.
»Wie es der Zufall will, habe ich hin und wieder in Kaikoura zu tun. Es ist übrigens ein hübsches kleines Städtchen. Und noch recht neu. Kaum ein Gebäude ist älter als zwanzig Jahre.«
»Und was haben Sie in Kaikoura zu tun?«, fragte Lillian nun.
»Ich bin Schafzüchter und habe eine Farm in der Nähe. Hier in Christchurch verkaufe ich nur meine Wolle.«
»Dann sehen Sie
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